Frau Kollegin: Gudrun Harrer, Der Standard, Wien

Gudrun Harrer, das Geld sprudelt wieder einmal, die internationale Staatengemeinschaft beglückt Teile der Palästinenser mit Zusagen von 4.9 Milliarden Dollar. Zufrieden?
Nein, frustriert und pessimistisch. Es ist bereits ein Ritual: bauen, kaputtmachen, Geld zusammenkratzen, wiederaufbauen – wobei man diesmal nicht einmal weiß, wie Letzteres praktisch gehen soll, denn mit denen, die dort sitzen, wo wiederaufgebaut werden soll, reden wir ja nicht einmal.
Es ist tatsächlich nachhaltig irritierend, wie weder EU noch USA sich aktiv um politische Schritte kümmern – können die beiden grossen Player tatsächlich keinen Druck auf Israel und die palästinensische Seite ausüben?
Die EU ist die große Ausnahme für die Regel „Wer zahlt, schafft an". Wobei der israelisch-palästinensische Konflikt ja nicht das einzige Außenpolitikfeld ist, auf dem man sich nicht auf eine einheitliche klare Linie einigen kann. Was die USA betrifft, heißt es jetzt einmal abwarten. Anders als George W. Bush und Bill Clinton hat Barack Obama ja immerhin den Nahostkonflikt in der Stunde eins seiner Amtszeit zu einer Priorität erklärt.
Wir haben Hillary Rodham Clintons ersten Auftritt als US-Aussenministerin auf dem glitschigen Nahost-Polit-Parkett erlebt. Stellen Sie Ansätze einer Wende in der US-Nahostpolitik fest?
Darf ich den Anfang eines Kommentars zitieren, den ich gerade geschrieben habe: „Die erste Nahostreise von Außenministerin Hillary Clinton ist wie ein Spaziergang im stockfinsteren Wald. Wobei die Spaziergängerin selbst ortsfremd und noch dazu ziemlich kurzsichtig ist. Darum pfeift sie in alle Richtungen, in der Hoffnung, dass irgend etwas zurückschallt, an dem sie sich orientieren kann." Man kann noch gar nichts sagen, ihre Signale gingen in sehr unterschiedliche Richtungen, es war für jeden etwas dabei bei dem, was sie gesagt hat.
„Mehr Geld als Hoffnung" titelte Ihre Zeitung „Der Standard" nach der Sharm-Geberkonferenz: Getrauen Sie überhaupt noch auf eine Lösung des israelisch – palästinensischen Konflikts zu hoffen?
Ja, noch immer, weil wir ja alle wissen, wie ein israelisch-palästinensischer Friedensvertrag im Prinzip auszusehen hätte.
Immer wieder werde ich gefragt, warum sich die beiden Konfliktparteien nicht einigen. Haben Sie also die Antwort?
Darauf gibt es keine einfache Antwort. Auf eine höhere Ebene gehoben könnte man sagen: Weil sie es nicht schaffen, ihre beiden Narrative – die beide ihre Berechtigung haben – anzunähern, geschweige denn, sie zu versöhnen.
Strategischer Gewinner des politischen Patt in der Region ist sicherlich der Iran. Der Iran konnte geschickt das Machtvakuum nutzen, dass nach dem Ende des kalten Krieges im mittleren und nahen Osten entstand. Wie ernst nehmen Sie die Rufe vieler Israeli und anverwandter Seelen, die den Iran resp. dessen Atomprogramm wegbomben möchten?
Ich nehme das sehr ernst. Es würde aber nicht funktionieren, vielleicht ja nicht einmal technisch, ganz bestimmt aber nicht politisch. Für die Amerikaner ist ein Militärschlag im Moment jedoch aus einer Vielzahl von Gründen – unter anderem, dass sie um die Stabilität im Irak fürchten – vom Tisch. Und ich hoffe zumindest, dass ihre Politik vor den Präsidentschaftswahlen im Juni dem jetzigen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad – der durch seine Drohungen gegen Israel einer der Gründe ist, warum man nicht nüchtern über Iran und sein Atomprogramm reden kann – keine Wahlkampfhilfe verschafft.
Sie berichten seit 15 Jahren über den Nahen Osten. Hat das Interesse Ihrer Leserschaft und Chefs in diesen Jahren an der Region ebenso abgenommen wie bei vielen Fernsehzuschauern?
Ich denke schon, dass viele Medienkonsumenten ermüdet sind – genauso wie wir Journalisten. Der Eindruck von negativen Schlagzeilen auf der einen und Stagnation auf der anderen Seite dominiert. Manchmal denke ich, man könnte ohne weiteres einen Nahost-Kommentar von vor zehn Jahren ins Blatt heben, ein paar Namen austauschen, und niemand würde es merken. Andererseits habe ich auch den Eindruck, dass in Europa neues öffentliches Interesse an der Region aufkommt, eher kulturelles Interesse, am Islam, an den muslimischen Gesellschaften.
Eine Konstante der Nahost-Berichterstattung ist das Killer-Argument des Anti-Semitismus, wenn das Vorgehen der israelischen Regierung und Militärs thematisiert wird. Auch Sie kriegen ja ab und an Prügel – immer noch locker im Umgang mit dieser Kritik?
Ganz direkt kommt der Antisemitismus-Vorwurf fast nie – da wäre er klagbar. Aber implizit ist er oft da. Ich habe das nie locker genommen und werde es nie locker nehmen, das kann und soll man nicht als Österreicher. Und Antisemitismus ist ja auch eine Realität – zu dessen Unterfütterung gerne die israelische Palästinenserpolitik benützt wird. Eine klassische Übertragung, würde ich sagen. Aber die Linie, dass hinter Israelkritik automatisch judenfeindliche Gefühle stecken, ist nicht nur infam, sondern nachweisbar unrichtig. Jüdische Stimmen in Europa waren zuletzt unter denen, die die Gaza-Offensive am lautesten kritisierten.
Gudrun Harrer, was wird Sie in den nächsten Wochen journalistisch beschäftigen?
Ich habe zwei größere Interviews in der Region beantragt – aber darüber redet man erst, wenn es geklappt hat. An größeren Artikeln bereite ich soeben eine Geschichte des iranischen Atomprogramms in der Schah-Zeit für unsere Feuilleton-Wochenendbeilage vor.
Die Menschenrechts-Organisatio n Huma [...]