Frau Kollegin: Kristina Bergmann, Neue Zürcher Zeitung NZZ, Kairo
Kristina, Israel hat eine neue Regierung. Wie haben die arabischen Medien darüber berichtet?
Ich lese die ägyptische Tageszeitung "Ahram", aber die gesamte arabische Presse habe ich nicht intus! Was ich weiss, ist: Die arabischen Medien sind gegen Israels neue Regierung. Sie ist ihnen zu palästinafeindlich. Mit Lieberman hat der ägyptische Präsident Mubarak ausserdem ein eigenes Hühnchen zu rupfen (der hat letzteren angeblich beleidigt), und deshalb wird über ihn in der hiesigen Presse vornehmlich geschimpft.
Also keine allzu grossen Erwartungen...
...ich persönlich denke, es wird sich wenig ändern. Wir setzten viel zu grosse Erwartungen in sogenannte Hoffnungsträger wie z.B. Rabin. Doch letztlich wird alles noch lange bleiben, wie es ist. Also: starkes Israel, schwache Palästinenser, Hickhack beider untereinander (sprich Raketen und Kriege) und keine zwei Staaten, geschweige denn EIN GEMEINSAMER Staat.
Vor ziemlich genau 30 Jahren wurde der Friedensschluss zwischen Aegypten und Israel unterzeichnet. Täuscht mein Eindruck, wenn ich von einem heute sehr kalten Frieden spreche?
Über dieses "heisse Eisen" habe ich gerade einen Blog geschrieben... In meinen Augen ist das kein kalter, sondern ein strategischer Frieden. Ägypter und Israeli sind Nachbarn, aber mögen sich nicht. Wenn sie keinen Krieg führen, ist das schon mal sehr gut. Mehr kann man momentan nicht erwarten. Beide wollen nicht vom anderen "überschwemmt werden".
Die Muslimbrüder als grösste ägyptische Oppositions-Bewegung, aber auch andere Organisationen, fordern eine Revision des Friedensschlusses. Wie gefährdet ist denn die israelisch-ägyptische „Freundschaft"?
Die Muslimbrüder (MB) haben immer etwas zu meckern. Sie betreiben Stimmungsmache und sind - wenn nötig - Kriegstreiberei. Jetzt ist es gerade "in" (nach dem Angriff auf die Palästinenser), das Camp David-Abkommen in den Dreck zu ziehen. Doch die MB haben keine Chance damit. Das Abkommen wird nie geändert werden, komme, was wolle. Mubarak ist ein gewitzter Militär. Einen Krieg gegen Israel wird er nie führen - er weiss, dass das Wahnsinn wäre. Ich stimme ihm zu - der Vertrag darf nicht geändert werden. Aber wie wäre es, wenn man ihn mal einhalten würde??? Also bezüglich Entmilitarisierung auch auf israelischer Seite, Staatsrechte für Palästinenser schaffen usw.?
Die Hamas-Bewegung in ihrer ideologischen Nähe zur Muslimbruderschaft ist sowohl Israel als auch Aegypten äusserst lästig. Warum koordinieren die beiden Staaten dennoch ihr Vorgehen nicht enger mit Blick auf den Gaza-Streifen, der unter Hamas-Kontrolle steht?
Meiner Ansicht besteht diese Koordination. Es ist kein Zufall, dass Kairo den Grenzübergang Rafah zum Gaza-Streifen (während des Krieges) schloss, und dass Mubarak jetzt nicht nach Doha zum arabischen Gipfel gefahren ist. Dahinter stehen (glaube ich) Israel und die USA. Aber: Alle Beteiligten (Israel und Ägypten) wissen um den Einfluss der Islamisten. Der wird im jetzigen Rahmen, nämlich dem der israelischen Übermacht und der ägyptischen Diktatur, wachsen. Lösung wäre also die echte Demokratisierung. Doch der Status quo soll erhalten bleiben, das wollen Kairo, Israel und die USA aus ureigenen Interessen. Also "muss man" die Hamas in Kauf nehmen und irgendwie managen.
Und hier kommt sie, die 1000-Dollar-Frage: Was, respektive wer kommt nach Aegyptens Präsident Mubarak?
Die 1000 Dollar zahlst Du aber, oder ist das ein leeres Versprechen? Lange dachte ich, der Nachfolger würde Gamal Mubarak, der jüngste Sohn des jetzigen Präsidenten. Das will vor allem Gamals Mutter, doch Mubarak senior und das Militär haben andere Pläne. Denen wäre wohl Omar Suleiman genehm, der clevere Geheimdienstchef mit militärischer Karriere. Es käme auch darauf an, wann Mubarak "abtritt". Wenn er in Mugabes Fussstapfen tritt, kannn das noch eine Weile dauern. Gamal ist zwar der Sohn, und allein deshalb bin ich gegen seine Präsidentschaft, doch finde ich, dass er innerhalb der hiesigen Herrscherclique der einzige ist, der Gefühle hat, sich von Armut berühren lässt und hart arbeitet. Deshalb wäre er meine Wahl. Aber den Posten kriegt er nicht - Ägypten zieht einen harten Mann vor. Also doch Omar Suleiman.
Du berichtest seit über zehn Jahren aus der arabischen Welt. Hat sich das interesse Deiner Redaktionen mit Blick auf die arabische Welt in den letzten Monaten verändert?
Schwer zu sagen. Einige Leute in der Redaktion der NZZ sind sehr israelfreundlich, andere arabophil und weitere neutral...
...schaffst Du es denn, die berühmte Brücke zwischen Orient und Okzident journalistisch zu schlagen?
Ich halte mich für objektiv. Die Araber kritisiere ich sehr hart, weil ich gegen jede Form von Diktatur bin. In meinen Augen herrscht die hier - im gesamten Nahen Osten. Ich liebe Europa und betrachte es als meine Heimat. Die dortige Demokratie, den Fortschritt, die Rechte etc. schätze ich über alles. Allerdings sind sie in dieser Welt eine Ausnahme (geographisch und zeitlich) und werden sich - fürchte ich - nicht mehr lange halten können. Das finde ich tragisch, um so glücklicher bin ich, dass ich diese Form des Rechtsstaats und der Emanzipation der Bürger erleben durfte. Die Brücke schlage ich, indem ich Sprachen lerne, mit den Leuten rede und sie einfach als Menschen nehme - hier wie dort.
Wer in Kairo lebt und arbeitet, verdient durchaus Mitleid und Anerkennung: Ist denn Kairo trotz Verkehrschaos, Smog, langwierigsten Bürokratiewegen ein idealer Platz für Nahost-Korrespondenten?
Nein, ideal ist der Platz Kairo nicht. Wir Journalisten hier brauchen für ein Interview zumeist eine Stunde hin und eine zurück. Die Umweltbedingungen in Kairo sind katastrophal und werden täglich schlimmer. ABER: wohin sonst? Beirut sehe ich als einzige echte Alternative, sonst eigentlich gar nichts. Amman finde ich zu lahm, Damaskus zu abgelegen und durchsetzt von Geheimpolizisten, für den Maghreb besteht zu geringes Interesse (sonst wäre er wohl angenehm), den Golf finde ich viel zu teuer und überhaupt denke ich, dass überall anders der Gegensatz zwischen einer absurden Moderne (Malls) und schlimmem Hinterwäldlertum (Saudiarabien, Emirate) viel zu gross ist, als dass ich dort leben möchte. Allerdings möchte ich weg von hier, mittelfristig. Am liebsten ganz woanders hin, zum Beispiel Japan. Hast Du mir dort eine Stelle?
Kristina, was wird Dich in den nächsten Wochen journalistisch beschäftigen?
Ich liebe meinen Beruf. Themen liegen an jeder Ecke, und ich finde sie leicht. In den nächsten Wochen schreibe ich über: Die neue Autobahn am Mittelmeer und wie die Ägypter sich dort ansiedeln und ihr Geschäftchen aufbauen/ Die Vielehe aus der Sicht der Männer/ Immer mehr Streiks in Ägypten/ Probleme der Bauern im Delta mit früheren Feudalherren und heutigen Landbesitzern.
Die Menschenrechts-Organisatio n Huma [...]