Herr Kollege: Ben Wedeman, CNN, Kairo

Ben, nach drei Jahren in Jerusalem bist Du soeben zurück nach Kairo gezogen. Hand aufs Herz: Fehlt Dir Jerusalem bereits?
Ich freue mich, wieder in Kairo zu sein. Hier war ich vorher bereits während acht Jahren stationiert und ich geniesse die Reichhaltigkeit dieses Ortes, seine Geschichte und Freundlichkeit. Aber natürlich vermisse ich einiges an Jerusalem, zum Beispiel die frische, saubere Luft, die kühlen Sommer-Nächte, die Leichtigkeit, mit der du dich in der Stadt bewegen kannst im Vergleich zu Kairos irren Verkehrs-Staus. Ich vermisse das Wandern im Wadi Qilt, was für mich der definitive Ort des psychischen Entspannens war vom Dampfkochtopf Namens palästinensisch – israelischer Konflikt.
Also hat Dir der Umzug keine grösseren Probleme bereitet?
Ich ziehe von Ort zu Ort seit ich acht Jahre alt bin, und konnte deshalb meine Fähigkeit stetig verbessern, auf die positiven Dinge zu fokussieren, wo immer ich bin – ohne von Nostalgie aufgefressen zu werden.
Worin siehst Du den grössten Unterschied als Korrespondent zwischen Jerusalem und Kairo?
Wer in Jerusalem stationiert ist, lebt und atmet, isst und trinkt sozusagen 24 Stunden täglich, sieben Tage die Woche, Jahr für Jahr den Konflikt. In Kairo gibt es keinen vergleichbaren Konflikt. Natürlich besteht der gewaltige, stets wachsende Graben zwischen Reich und Arm, es gibt den massiven, knarrenden Staat Ägypten auf der einen, und die grosse Masse der Menschen auf der anderen Seite. Dies führt zu Spannungen, aber in Ägypten gibt es nicht „den Konflikt“, der praktische alle Geschichten diktiert, die du machst, wohin du gehst, mit wem du sprichst als ein Journalist. In Kairo ist das journalistische Spektrum breiter, geht von der Archäologie über die Politik zur Ökonomie, bis zur Kultur und Religion.
Wer über den israelisch - palästinensischen Konflikt berichtet, ist harschem Druck der Konfliktparteien und deren Freunde ausgesetzt. Oder in zurückhaltenden Worten formuliert: die Erwartungshaltungen unterscheiden sich doch sehr... – Wie bist Du damit klar gekommen?
Mit Schwierigkeiten – und mit Geduld.
Als CNN – Korrespondent spielst Du in der Champions League des Auslands-Journalismus. CNN wird von vielen als pro israelischer Sender kritisiert – schwierig für den Korrespondenten, damit klar zu kommen?
Ich würde CNN sicherlich nicht als einen „pro israelischen Sender“ beschreiben. Natürlich ist ein CNN – Reporter viel Kritik direkt ausgesetzt, und zwar von beiden Konfliktseiten. Aber jeder ist frei, CNN und jeden anderen Sender zu kritisieren. Ich bin damit klargekommen.
Mir fällt es nach fünf Jahren in Israel schwer, den politischen Optimismus nicht zu verlieren. Eine „politische Lösung“ des Konflikts scheint immer unrealistischer zu werden. Einverstanden mit dieser Einschätzung?
Ja. Die „politische Lösung“, so wie sie sich heute präsentiert, ist eine Übung in Sauerstoffverbrauch, umringt von viel Lärm und Wut. Das ganze bedeutet also so gut wie nichts.
Und dennoch hier die 100 Millionen – Frage: Kann US – Präsident Obama den Nahen Osten beruhigen?
Kann er? Ja. Wird er? Ich bezweifle es.
Hat eigentlich derselbe Ben Wedeman Jerusalem Richtung Kairo verlassen, der einst hierher gezogen ist?
Ja. Ein bisschen älter, ein bisschen zynischer, aber auch ein bisschen weiser; aber eigentlich grundsätzlich Derselbe.
Was macht Kairo eigentlich so attraktiv für einen Korrespondenten: Die Lebensqualität und/oder die journalistischen Möglichkeiten?
Kario bietet viele Vorteile. Auch wenn die Stadt etwas an Gewicht verloren hat, ist sie das Herz der arabischen Welt. Sie ist ideal gelegen, um den Nahen Osten und Afrika abzudecken. Es gibt Flüge in jede grössere Stadt im Nahen Osten. Und selbst wenn du nicht reist: Kairo ist eine riesige, lebendige, pulsierende Stadt, die niemals schläft, immer überrascht, manchmal schockiert und häufig amüsiert. Trotz Armut, Zerfall und Überbevölkerung verfügt Kairo über einen einzigartigen Humor. Kurz gesagt, die Stadt kann dich auslaugen, frustrieren, aber sie langweilt dich nie.
Als Du damals Kairo Richtung Jerusalem verlassen hattest, konntest Du Dich mit einer bemerkenswerten Reportagen-Reihe verabschieden, die Du mit Deiner Familie unterwegs quer durch Ägypten gedreht hattest. Nun, was hinterlässt Du uns aus Deiner Zeit in Jerusalem?
Das ist eine gute Frage, muss mir noch die richtige Antwort ausdenken – oder warte einfach aufs Buch...
Ben, was wird Dich in den nächsten Wochen journalistisch beschäftigen?
Ich fokussiere darauf, mich wieder ins ägyptische Geschehen einzulassen. Politisch besehen ist die Zukunft neblig, es gibt keine Nachfolgeregelung der Leaderschaft des Landes, und das scheint mehr und mehr Ägypter zu beschäftigen. Ich denke, das wird die grosse Geschichte werden in den nächsten 12 Monaten. Ansonsten freue ich mich auf mein nächstes Camping – Weekend in der Sahara, um meinen Geist und meine Lungen zu lüften.