Herr Kollege: Ethan Bronner, New York Times, Jerusalem
Ethan, Du scheinst einer der fleissigsten Korrespondenten in Israel zu sein, die New York Times publiziert praktisch täglich zum israelisch – palästinensischen Konflikt...
Naja, ich schreibe zwei bis drei Mal pro Woche. Isabel Kershner, die ebenfalls in Jerusalem stationiert ist, schreibt eben so viel, so dass wir tatsächlich praktisch täglich erscheinen. Aber es gibt eine sehr grosse News- Nachfrage, die Leute verfolgen sehr genau, was hier geschieht. Tatsächlich würde ich vorziehen, weniger oft zu publizieren, damit ich tiefer in die Themen eintauchen könnte. Und ich glaube, es ist verzerrt das Bild des Nahen Ostens, wenn wir soviel über Israel und die Palästinenser schreiben, und sehr viel weniger über die Nachbarländer.
Wie erklärst Du Dir diese journalistische Wahrnehmung des Nahen Ostens?
Ein Grund liegt darin, dass es viel einfacher ist, in Israel journalistisch zu arbeiten als in einem der Nachbarländer. Da aber der Journalismus auf Konflikte fokussiert, entsteht der falsche Eindruck endloser Probleme hier und Ruhe andernorts.
Letzte Woche hat die „New York Times“ scharf geschossen, sozusagen: Star – Kolumnist Thomas Friedman hat die US-Regierung aufgefordert, sich solange von Vermittlungen zwischen Israel und den Palästinensern zu verabschieden, bis Israel bereit sei, sich ernsthaft in Verhandlungen zu engagieren...
Diese Frage widerspiegelt ein Missverständnis, wie wir funktionieren. Niemand sagte Tom Friedman, was er zu schreiben habe...
Trotzdem, praktisch zeitgleich mit Friedmans Provokation hast letzte Woche vor dem Zusammenbruch der palästinensischen Autonomiebehörde PA gewarnt – Zufall, oder bist Du tatsächlich solch‘ ein Pessimist?
Ich habe meine Geschichte ebenfalls nicht aufgrund irgendwelcher „Einflüsterer“ geschrieben. Dass die beiden Geschichten gleichzeitig erschienen sind, ist reiner Zufall. – Ob ich ein Pessimist bin? Ich bin weder ein Optimist noch ein Pessimist. Vielmehr habe ich mehrere palästinensische Top-Vertreter interviewt, und die haben sich alle sehr pessimistisch geäussert. Basierend auf diesen Gesprächen habe ich dann meine Geschichte geschrieben.
Okay, ich versuch’s nochmals: Glaubst Du denn tatsächlich daran, dass jemand ein Interesse am Zusammenbruch der PA haben könnte?
Natürlich waren die Aussagen dieser PA – Vertreter auch dazu da aufzuzeigen, dass die Möglichkeit eines Deals zwischen der PA und Israel generell als abwegig angesehen wird. Die Regierung Netanyahu will einen sehr begrenzten Staat für die Palästinenser. Und der Split zwischen Hamas und Fatah, zwischen dem Gaza – Streifen und dem Westjordanland, lassen die Möglichkeiten eines erfolgreichen Deals – so er denn angeboten würde – als sehr klein erscheinen.
Interessanterweise weiss niemand, was tatsächlich letzte Woche beim Treffen zwischen US – Präsident Obama und Israels Premier Netanyahu geschehen ist...
... ich weiss es auch nicht...
„Yes, we can“: Gehst Du davon aus, dass Obama sich ernsthaft im Nahen Osten engagieren will?
Daran besteht kein Zweifel.
Ethan, Du arbeitest für einen der prestigeträchtigsten Medientitel der Welt. Ist dies primär ein Vorteil – oder setzt Dir die Kritik zu, dass die „New York Times“ ab und zu als pro-israelisches Sprachrohr abgetan wird?
Interessant, diese Wahrnehmung einer „pro-israelischen“ Zeitung. In den USA werden wir oft des Gegenteils beschuldigt, also anti-israelisch zu sein... Fakt ist: Wir sind weder noch. Aber es trifft zu, dass amerikanische Medien im Vergleich mit europäischen Medien Israel weniger ablehnend gegenüber stehen.
Und Du als Korrespondent eines der einflussreichsten Meinungsmacher-Blattes...
... was das betrifft, sehe ich dies als einen relativen Vorteil. Es ermöglicht mir Zugang zu Offiziellen, und manchmal ist’s etwas leichter, die Leute ans Telephon zu kriegen. Der Nachteil ist, wie Du zu Recht anmerkst, dass ich schon ab und zu eine ganze Menge an wütenden Mails von beiden Seiten des politischen Spektrums kriege.
Du bist zum zweiten Mal in Israel stationiert. Inwiefern veränderte sich der Korrespondent Bronner in der Zwischenzeit, journalistisch besehen?
Ich bin schon zum dritten Mal hier: In den 80er Jahren habe ich für Reuters gearbeitet, in den 90ern für den „Boston Globe“ und jetzt für die Times. Ohne Zweifel habe ich mich verändert in den letzten 25 Jahren. Aber die Situation vor Ort hat sich weit stärker gewandelt. Als ich in den 90ern hier arbeitete, glaubten die meisten Israeli und Palästinenser daran, dass der Frieden sehr nahe sei. Heute glaubt das praktisch niemand.
Ehtan, was wird Dich in den nächsten Wochen journalistisch beschäftigen?
Anfang Woche werde ich nach Gaza fahren, um ein, zwei Geschichten zu machen. Dann verfolge ich die Entwicklungen in der Palästinensischen Autonomiebehörde sehr genau. Und ich arbeite am nächsten Teil unserer Serie über die israelischen Siedlungen im Westjordanland.