Herr Kollege: Daniel Ammann, Autor, Zürich
Daniel, does Marc Rich sell well?
Für einen Rohstoffhändler wäre das die wichtigste Frage. Nie in meinem Leben habe ich die Worte "making money" öfter sagen gehört, als während den Interviews zu meinem Buch. Um die Frage zu beantworten: Es läuft gut. Eben ist The King of Oil auf Chinesisch herausgekommen. Damit habe ich wirklich nicht gerechnet. Im August wird es eine deutsche Ausgabe geben. Die Rechte habe ich auch nach Japan, Spanien und Brasilien verkauft. Interesse gibt es zudem in Frankreich und Israel.
Das tönt wirklich nach Geld…
…das Thema Rohstoffhandel interessiert offensichtlich weltweit, und die Diskussionen über Iran-Sanktionen machen Marc Rich speziell aktuell. Seine Geschichte führt auch zum Kern der Frage, ob Sanktionen wirksam sind oder nicht; war er doch der grosse Profiteur von früheren Embargos.
Bloomberg nannte das Buch eines der besten Sachbücher der Saison - hopla, hopla...
....solches Lob von solcher Seite ist nach der langen und mitunter aufreibenden Arbeit eine schöne Bestätigung.
Daniel, Du hast den journalistischen Griffel zur Seite gelegt, und Dich als Autor auf einen der kontroversesten Geschäftemacher unserer Zeiten eingelassen. Was faszinierte Dich so sehr an Marc Rich?
Marc Rich machte eine der faszinierendsten Karrieren des 20. Jahrhundert und führte ein Leben, das eng mit der Weltpolitik verknüpft war. Als jüdischer Flüchtlingsjunge, der im letzten Moment praktisch ohne Geld vor den Nazis in die USA flüchten konnte, brachte er es zum grössten und mächtigsten Rohstoffhändler unserer Zeit. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere geriet er wegen "Handels mit dem Feind" Iran und Steuervergehen mit der Justiz derart in Konflikt, dass er auf der Most-Wanted-Liste des FBI landete und weltweit gejagt wurde. Was für eine Geschichte!
Wobei Skrupel nicht zwingend zu den Eigenschaften Rich’s gehören, oder?
Rich handelte mit allen, die mit ihm handelten, seien es Diktatoren oder Demokraten, Kommunisten oder Kapitalisten. Er machte Geschäfte mit dem Schah von Persien und nach dessen Fall mit Ayatollah Khomeini, er sass mit Che Guevara am Tisch, mit den Sandinisten, aber ebenso mit dem Apartheid-Regime oder den korrupten Generälen Nigerias. Es ist eine Geschichte, in der es um Macht und um Moral geht. Und um Milliarden.
Am besten für mich: Es war eine Geschichte, die noch nicht geschrieben war, weil sich Rich den Journalisten systematisch verweigert hatte. Ich war der erste Journalist überhaupt, mit dem er offen über seine Geschäfte und sein Privatleben sprach. Um in Deinem Jargon zu bleiben: So fest wie in den letzten zwei Jahren hatte ich den journalistischen Griffel noch nie in der Hand.
Ein Embargo- Brecher, Steuerbetrüger, und wenig zimperlicher Händler – oder greift diese Beschreibung zu kurz?
Das alles mag er sein – aber zugleich auch noch viel mehr. Er ist ein Jahrhundert-Händler, der zusammen mit einer Handvoll Partnern das Kartell der Ölmultis zerschlug und sozusagen den Spot-Handel für Erdöl erfand. Im Gegensatz zur gängigen Lesart, wonach Rich ein Ausbeuter der Dritten Welt war, komme ich auch zum Schluss, dass er es vielen Ländern, vor allem in Afrika, überhaupt erst ermöglichte, ihre Ressourcen selbst zu vermarkten – und nicht mehr von den Multis abhängig zu sein. Das machte er natürlich nicht aus Eigennutz, sondern um Geld zu verdienen, eben: "making money".
…womit Rich aber eben auch in Konflikt mit dem Gesetz kam.
Ein Aspekt von Richs Karriere, der von der Strafverfolgung völlig begraben wurde, ist sein einzigartiger unternehmerischer Erfolg. Ich glaube, ich kann in meinem Buch zeigen, wie und wieso gerade Marc Rich zum dominierenden Trader des 20. Jahrhunderts wurde.
Lass‘ uns in den Nahen Osten blicken: Marc Rich, so schreibst Du, vermittelte nach der Machtübernahme Ayatollah Khomeinis Oel aus dem Iran nach Israel. Von welchen Dimensionen sprechen wir?
Das herauszufinden, war etwas vom Spannendsten an meinen Recherchen. Es handelte sich um riesigen Dimensionen. Der Iran wurde zu Richs wichtigstem Öllieferanten. Das allein ist schon bemerkenswert. Das antisemitische, antikapitalistische und antiamerikanische Regime des Ayatollah Khomeini handelte im grossen Stil ausgerechnet mit dem jüdischen kapitalistischen Amerikaner Marc Rich.
Noch erstaunlicher: Rich verkaufte das Öl an Irans Erzfeind Israel. Der Sturz des Schahs 1979 war für Israel katastrophal, hatte es doch den Grossteil seines Öls aus Persien bezogen. Das neue Regime verbot sofort, auch nur einen Tropfen Öl dem jüdischen Staat zu lieferen. Ich übertreibe darum kaum, wenn ich schreibe, dass Rich Israel überlebenswichtige Dienste leistete. Er lieferte dem Land bis zu 15 Millionen Barrel pro Jahr – zwanzig bis vierzig Prozent seines Bedarfs.
Das Geschäft heiligt also die Mittel, in Teheran ebenso wie in Tel Aviv?
Die Iraner, so sagte mir Rich, wussten genau, wohin ihr Öl floss. Offiziell sprachen sie Israel das Existenzrecht ab, inoffiziell wollten sie ihr Öl einfach verkauft haben, egal an wen. Auch ihnen lag, wenn es ums Geld ging, der Profit näher als ihre radikalen Rhetorik. Diese kleine Geschichte sagt vieles über den internationalen Rohstoffhand
el aus.
Will heissen: Moral ist ein relativer Begriff, sicher im Rohstoff- Handelsgeschäft.
Ich habe bei meinen Recherchen jedenfalls gelernt, dass viel geheuchelt und Moral keine Kategorie ist, wenn es um einen strategisch so eminent wichtigen Rohstoff wie Erdöl geht. Sowohl auf Käufer- als auch auf Verkäuferseite.
Die Realität ist oft anders, als man die Leute glauben machen will. Ich zeige zum Beispiel wie die Sowjetunion oder Saudiarabien aller politischen Rhetorik zum Trotz via Rich heimlich Öl an das Apartheid-Regime lieferten.
Wir können uns als Konsumenten aber nicht einfach rausnehmen. Als ich mit einem Händler über Ethik sprach, zeigte er auf mein Handy und sagte: "Ohne Coltan gäbe es keine Handys. Machen wir uns nichts vor: Mit Coltan wird der Bürgerkrieg in Kongo finanziert." Dann fragte er mich, was die Alternative dazu sei. Kein Handel? Keine Handys? Ich hatte keine Antwort.
March Rich ist jüdisch. Welche Rolle spielt(e) dies für seine Geschäfte?
Im Rohstoffhandel sind traditionell viele Juden tätig. Das ist vor allem historisch zu erklären: Juden waren ja in Europa Jahrhunderte lang diskriminiert, durften kein Land besitzen und damit also keine Bauern sein. Juden waren von den Zünften ausgeschlossen und konnten so nicht als Handwerker arbeiten. Kurz: Sie konnten die damals wichtigsten wirtschaftlichen Aktivitäten nicht ausüben. So wurden die Juden mangels Alternativen zu Händlern. Für Richs Geschäfte spielt(e) aber weder die Religion noch die Politik eine besondere Rolle, eben gerade nicht.
Rich behauptet, er habe dem israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad nützliche Informationen aus dem Iran, Syrien und Russland geliefert. Nice talk oder ist dem tatsächlich so?
Das haben mir mehrere Quellen bestätigt, nicht zuletzt auch ein früherer hoher Mossad-Offizier. Wie exzellent seine Quellen waren, das haben er und seine Leute in ihrem Business mehrfach bewiesen. Sie waren in den Ländern vor Ort tätig, hatten direkten Zugang zu den Macht- und Geheimnisträgern. Es ist absolut plausibel, dass sie ihre Informationen mit dem Mossad austauschten – und übrigens auch mit den USA, wie ich im Buch zeige. Sie befolgten das bewährte Gebot der Händler: Wer gibt, der bekommt. Nicht zuletzt darum setzten sich Shimon Peres und Ehud Barak bei Präsident Bill Clinton für eine Begnadigung Richs ein.
Rich ist ein grosser Sponsor Israels, unterstützt mehrere Universitäten mit stattlichen Beträgen, hat dafür auch schon einen Ehrendoktor der Universität Tel Aviv verliehen bekommen. Wie wertest Du sein Engagement für Israel?
Für ein kompetentes Urteil bin ich zu weit weg von den israelischen Realitäten. Mir fiel aber auf, dass Richs Stiftungen mit marktwirtschaftlichen Instrumenten Palästinenser und Israeli näher zusammenbringen will und dass er Menschenrechtsanwälte finanziert.
Welches Weltbild prägt Rich eigentlich – wie tickt dieser einst Milliarden bewegende Rohstoff- Händler?
Die kurze Antwort in seinen eigenen Worten: "Ehrgeiz", sagte mir Marc Rich, "mich treibt, wie die meisten anderen Menschen, Ehrgeiz an. Die Menschheit kam durch Ehrgeiz voran. Einige wollten höher klettern oder schneller rennen, andere wollten fliegen oder tauchen. Ich wollte Erfolg im Geschäft haben." Für die lange Antwort habe ich 320 Seiten gebraucht.
Nach der Publikation Deines Buches meinte Rich: «Ammann kam zu mir, ich mochte ihn, er hat einen guten Job gemacht.» Du bist doch nicht etwa dem Charme des Herrn Händlers erliegen, oder?
Oder er vielleicht meinem? Im Ernst: Ich glaube, ich zeichne ein treffendes Bild von Marc Rich – im Positiven wie im Negativen. Ich war hart, aber fair. Wichtig war mir, dass er keinerlei Kontrolle über den Inhalt des Buches hatte. Es spricht für ihn, dass er diese Bedingung akzeptierte.
Daniel, was wird Dich in den nächsten Wochen publizistisch beschäftigen?
Ich bin momentan daran, die Druckfahnen für die deutsche Ausgabe zu korrigieren. Und ich verfolge mit grossem Interesse die Entwicklung von Marc Richs ehemaliger Firma, die heute Glencore heisst, noch immer der grösste Rohstoffhändler der Welt ist und derzeit mit einem Börsengang liebäugelt.