Herr Kollege: Hans-Christian Rössler, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Jerusalem
Hans-Christian Rössler, die Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ berichtete, abgesehen von einem Kommentar, eher kühl über die Gaza – Flotilla. Nehme an, Du bist zufrieden mit der Berichterstattung, oder?
„Kühl“ verstehe ich als Kompliment. Angesichts der aufgeheizten Atmosphäre, die von massiven Vorwürfen geprägt ist, halte ich es für besser, sich diesem Themenkomplex so sachlich wie möglich zu nähern. Zufrieden bin ich dennoch nicht. Selbst aus relativer Nähe bleibt die Quellenlage dürftig und man muss mit Material und Aussagen arbeiten, die einen nicht restlos überzeugen.
Also warst auch Du nicht in der Lage, die jeweiligen als “Beweismittel” präsentierten Informationen der Aktivisten und der israelischen Armee oder Regierung gegen zu checken?
Leider oft nicht. Deshalb habe ich versucht, in meinen Artikeln darauf hinzuweisen, dass Fotos und Videos von der Armee stammten, oder dass Aktivisten in vielen Fällen nicht Augenzeugen waren. Ich hoffe, dass Film- und Fotomaterial, das einige Journalisten oft unter abenteuerlichen Bedingungen herausschmuggeln konnten, bald hilft, ein klareres Bild zu bekommen. Es ist skandalös, dass die Armee überhaupt keine Anstalten macht beschlagnahmte Kameras, Laptops usw. zurückzugeben. Das ist alles andere als die restlose Aufklärung, die in Israel nach Aussagen der Regierung schon begonnen hat. Aber auch Aktivisten verstricken sich immer wieder in Widersprüche. Während der frühere deutsche Abgeordnete Norman Paech nur „zweieinhalb Holzstöcke“ gesehen haben will, erzählt IHH-Chef Yildirim öffentlich von Eisenstangen und erkämpften Armeepistolen. Zwischen „nicht einmal ein Taschenmesser“ (IHH) und der Messersammlung auf den Armeebildern vom Schiff bleibt ebenfalls ein Widerspruch - auch wenn schon die Murmeln und Schraubschlüssel daneben illustrieren, wie verzweifelt jemand nach Beweisen suchte.
Wagst Du eine Interpretation dessen, was hier wirklich geschehen ist: Eine lausig geplante Militäraktion, gepaart mit einer provokativen Aktivisten- Aktion?
Dass die Aktion nicht gut geplant war, gestehen selbst zahlreiche israelische Militärs und Politiker ein. Sie geben vor allem mangelnder Aufklärung durch die Geheimdienste vor der Stürmung die Schuld. In einer Umfrage sagten rund 63 Prozent der befragten Israelis, dass sie es für besser gefunden hätten, die Flotte auf andere Weise zu stoppen – aber stoppen wollten auch sie die Schiffe. Die mehr als 700 Aktivisten waren wohl ein recht bunter Haufen mit unterschiedlichen Zielen. Mittlerweile tauchten Berichte auf, dass einige Aktivisten die Türken zu bremsen versuchten, die auf die Soldaten einprügelten.
Selbst der deutsche Aussenminister reagierte ungewöhnlich scharf auf die israelische Militäraktion, schärfer als manch‘ deutscher Journalist...
Ich habe in den letzten Tagen nur sporadisch die deutsche Kommentierung verfolgt. In meiner Zeitung schrieb jedoch heute – nicht zum ersten Mal – einer der Herausgeber: „Die israelische Doktrin, auf gar keinen Fall Fehler zuzugeben oder Schwäche zu zeigen, war einmal eine Strategie. Inzwischen ist sie zur Besessenheit geworden, die das Land nicht mehr schützt, sondern ihm schadet. Ministerpräsident Netanjahu hat es abgelehnt, die Blockade des Gazastreifens aufzuheben, obwohl Israel mit dieser Aktion keines seiner Ziele erreicht hat.“ Das zeugt nicht gerade von ängstlicher Zurückhaltung.
Geht’s um Israel, stelle ich als Schweizer journalistischer Blogger bei deutschen Journalisten- Kollegen immer wieder unterschiedliche Medien- Standards fest – die deutsche Geschichte ist offensichtlich nach wie vor eine Hypothek für den deutschen Journalismus, oder?
Ich würde es nicht als „Hypothek“ bezeichnen. Klar, das deutsch-israelische Verhältnis ist weiterhin nicht einfach. Man beobachtet sich auf beiden Seiten mit manchmal argwöhnischer Aufmerksamkeit. Aber besonders der Generationswechsel hat in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass die Vergangenheit weniger eine Rolle spielt, wenn es nicht wirklich um sie geht.
Alle Konflikte jüngerer Geschichte werden zu mindest gleichen Teilen als Propaganda- Schlacht denn auf dem eigentlichen Schlachtfeld ausgetragen. Wie gehst Du als Korrespondent mit dieser Realität um?
Das stimmt. Diese Lagerbildung – entweder Nibelungentreue zu Israel oder bedingungslose Solidarität mit den Palästinensern - macht die Arbeit in der Tat nicht leichter. Ich verstehe mich aber nicht als „Kämpfer“ an irgendeiner Front. Ich mag die altmodische Berufsbezeichnung „Berichterstatter“ lieber. Bei der FAZ und ihren Lesern weiß man auch weiterhin einen eher „trockenen“, aber faktenreichen und gut recherchierten Text zu schätzen. Auch hält man die Trennung von Nachricht und Kommentar weiter aufrecht. Das macht das Arbeiten für mich relativ angenehm, obwohl man natürlich immer wieder zwischen die „Fronten“ gerät.
Du arbeitest seit eineinhalb Jahren in Jerusalem. Und, wie würdest Du Deine bisherigen Erfahrungen beschreiben – Traumjob Auslandskorrespondent?
Überwiegend waren sie gut. Verglichen mit anderen Ländern in der Region haben sich Israelis wie Palästinenser eine Offenheit bewahrt, die sehr bei der Arbeit hilft. Aber besonders in Israel ist beunruhigend zu beobachten, wie die Rechte und die Regierung immer wieder versuchen, Stimmen zum Verstummen zu bringen, die nicht ihrer Meinung sind („Breaking the Silence“, New Israel Fund, arabische Gruppen). Und auf palästinensischer Seite hat in Gaza die Hamas noch viel weniger mit Pluralismus und offenen Debatten im Sinn.
Werden die Korrespondenten der FAZ eigentlich „an der langen Leine“ geführt, oder seid Ihr Korrespondenten “ redaktionsunabhängige Beobachter”?
Bei der FAZ haben die Korrespondenten einen großen Gestaltungsspielraum. Ihre Themenangebote werden ernst genommen und meist auch aufgegriffen. Was ich wie mache, bleibt meistens mir überlassen. Leider fehlt natürlich auch bei der FAZ wegen der Dauerkrise in den Medien oft der Platz, den man gerne hätte.
Online – bei diesem Stichwort zucken viele Journalisten zusammen: Du auch?
Wenn es die Aktualität nötig macht, beliefere ich natürlich auch die Online-Redaktion. Sie übernimmt in der zweiten Tageshälfte auch bei Bedarf schon fertige Zeitungstexte von mir. Müsste ich neben der Zeitungsarbeit mehr Online machen, ginge das definitiv zu Lasten der Recherche und der anderen Geschichten. Damit wäre niemandem gedient.
Hans-Christian, was wird Dich in den nächsten Wochen journalistisch beschäftigen?
Gaza und die Flotte werden uns weiter beschäftigen. Die „Rachel Corrie“ ist ja schon unterwegs. Es könnte sein, dass Israel die Blockade für zivile Güter ein wenig öffnet. Die Amerikaner wollen offenbar die jüngste Krise nutzen und werden wegen Gaza wieder aktiver.
Die Menschenrechts-Organisatio n Huma [...]