Herr Kollege: Karim El-Gawhary, Kairo

Karim, auf erklärst Du uns Deine Motivation, ein Buch über den Alltag im Nahen Osten zu publizieren. Tolles Marketing, gratulation.
Für die Europäer ist diese Region stets der Inbegriff des Fremden geblieben, egal welchen Namen sie ihr geben. Sprechen sie verklärt vom Orient, dann ist der Ort exotisch aufregend, da ziehen die Kamelkarawanen im matten Schein der Halbmondes durch die Weiten der Wüste. In der Zeitung liest man dann vom Nahen Osten. Gemeint ist die größte Tankzapfsäule der Welt, dort weit hinter der Türkei, wo die Völker aufeinanderschlagen und Araber sich mit den Israelis zanken. Ob Orient, Naher Ostern oder arabische Welt, es ist das Symbol des Anderen. Und das hat weder Vor- noch Familiennamen, tritt höchstens in Massen auf, verbrennt amerikanische oder dänische Flaggen. Und wenn es doch einmal als Individuum auftaucht, dann als Selbstmordattentäter.
Was willst Du mit Deinem Buch? Du bist ja nicht der erste Journalist, der seine Eindrücke präsentiert.
Die Idee des Buches ist es, den Menschen in Kairo, Beirut und Bagdad. Nicht von den Krisen selbst soll hier die Rede sein, sondern von Menschen, die sie täglich meistern und dabei noch versuchen ein ganz normales Leben zu führen. „Ein Tag Honig, ein Tag Zwiebeln,“ lautet ein arabisches Sprichwort und das ist vielleicht auch das Motto dieses Buches.
Alltag, was ist das eigentlich in dieser Riesengrossen, facettenreichen Region namens Naher Osten?
Der Alltag hat viele Gesichter: heitere und ernste, verrückte und tragische. Wie chauffiert man schweißgebadet seinen Neuwagen durch Kairos Verkehrschaos? Was passiert, wenn der Nachbar mitten in der Stadt auf dem Dach statt duftender Blumen, Hühner, Enten und Gänse züchtet und der Muezzin mit dem Hahn konkurriert, wer mich als erster weckt. Das Problem wurde inzwischen allerdings gelöst: dank der Vogelgrippe hat mein Nachbar inzwischen sein städtisches Geflügel wieder abgeschafft.
Dein Alltag in Kairo, dieser 14-Millionen-Stadt, hört sich ja durchaus sehr abwechslungsreich an...
...Alltag in Kairo, das ist auch ein Leben jenseits der Schadstoffgrenzen, bei der jede europäische Feinstaubdiskussion wie Hohn anmutet. Und natürlich kommt dazu der Kampf mit den kafkaeske Arabesquen einer 7000 Jahren alten ägyptischen Bürokratie, von Strafzetteln zum Überfahren einer roten Ampel in einer Strasse, in der es gar keine Ampeln gibt. Aber es geht auch darum, wie Menschen mit etwas mehr als einen Euro am Tag um ihr und das Überleben ihrer Familien kämpfen. Wie Abu Aschraf, der als Metallarbeiter 40 € im Monat verdient und nicht weiß, von welchem Geld er am ersten Schultag seine Kinder einkleiden soll.
Exotisch, vielleicht auf den ersten Blick. Aber wir sind uns einig: durch die arabischen Gesellschaften gehen tiefe Risse und Widersprüche.
Es soll nichts beschönigt werden. Es geht auch um Tabu-Geschichten. Viel ist von Heuchelei und den zwei Gesichtern islamsicher Gesellschaften die Rede. Vom Kampf zwischen Anspruch und Wirklichkeit, dessen Front hinter Waschpulver und Windeln im hinteren Regal in Abu Summers Tante-Emma-Laden in Bagdad verläuft, wo der christliche Händler Whiskey, Wodka und Dattel-Arrak feilbietet und fast ausschließlich Muslime zu seinen Kunden zählt. Oder vom Sextourismus in Kairo: Im Eigenversuch wird getestet, wie das Netzwerk aus Pförtnern, Wohnungsmaklern und Prostituierten funktioniert, das meist reichen Golfarabern käufliche Liebe verschafft.
Eben eine tiefe Zerrissenheit, auch in den arabischen Gesellschaften.
Genau. Zwischen Konsum und Spiritualität, meinen viele auf der Suche nach ihrer Identität ihr Heil in schnellen islamischen Patentrezepten zu finden. In einer Art „Instant-Islam, schnell ein Kopftuch auf, flugs ein Bart gewachsen, treten Äußerlichkeiten ins Zentrum der eigenen Religiosität. Und dann ist da noch der Frust, stets politisch auf der Verliererseite zu stehen, sei es gegenüber dem überlegenen Westen, Israel oder den eigenen arabischen Regimes.
Karim, wie schätzt Du denn uns Kollegen, unsere Nahost-Berichterstattung ein?
Ich würde das gerne etwas breiter fassen. Medien verkürzen. Erklären Sie uns den Nahen Osten in 40 Sekunden, lautet die Aufgabe, die das Fernsehen bei einer Liveschaltung in einer der arabischen Hauptstädte stellt. Können sie uns 80 Zeilen zum Thema Islam, Libanon oder Irak schreiben, fragt der Zeitungsredakteur am Morgen. „Kann ich eigentlich nicht,“ will ich immer antworten.
Das ist ja schon fast beruhigend, so was auch mal von einem Kollegen zu hören...
... Ich arbeite seit 17 Jahren als Nahostkorrespondent. In dieser Zeit hat sich die Auslandsberichterstattung generell verschlechtert. Früher wurde noch kontinuierlicher über Regionen und Konflikte berichtet. Heute sind wir Korrespondenten nur noch Feuerwehrleute, die mit angezogen Stiefeln warten, wo der nächste Konflikt ausbricht, um dann von der Stange zu rutschen. Das führt dazu, dazu; dass Konflikte buchstäblich vom Himmel fallen. Nehmen wir z.B. den Russland-Georgien-Konflikt. Die meisten Leser, Zuschauer und Zuhörer wussten nicht, dass es da ein Problem gab, bevor der Krieg ausbrach. Oder nehmen wir ein Beispiel aus meiner Region: Wenn ich eine Woche vor dem Libanon-Krieg im Sommer 2006 eine Hisbollah-Geschichte angeboten hätte, dann hätte es wahrscheinlich geheißen: warum gerade jetzt? Heute ist kein Platz, irgendein innenpolitisches Thema ist wichtiger. Eine Woche später stand die Nahost-Berichterstattung Kopf. Wenn keine Prozesse mehr berichtet werden, dann fallen Konflikte tatsächlich vom Himmel. Das ist dann jedes Mal ein echtes Armutszeugnis für die Auslandsberichterstattung.
Leider bilden unsere arabischen Kollegen da keine Ausnahme. Der Journalismus in der arabischen Welt scheint nach wie vor geprägt von Zensur und Lobeshymnen auf die verschiedenen Regimes?
Da muss ich Dir widersprechen. Du hast recht, wenn es um staatliche Medien geht. Aber in den letzten 15 Jahren hat in den arabischen Medien eine Revolution stattgefunden. Ich kann mich an den Golfkrieg 1991 erinnern, als ich angefangen habe als Korrespondent zu arbeiten. Damals schalteten alle arabischen Fernsehstationen auf CNN, da sie selbst keine vernünftige professionelle Berichtserstattung über den Krieg zustande brachten. Im letzten Irakkrieg schaltete dann CNN auf Al-Jazeera. Da hat sich, was die Professionalität angeht unheimlich viel getan.
Und im Print, also im Zeitungs- und Zeitschriften-Bereich?
Die unabhängigen Medien im Fernseh- und Printbereich haben sich emanzipiert. Ägyptische unabhängige Zeitung schimpfen jeden Tag offen über das Regime, über Präsident Mubarak, die Korruption und den völlig uneffektiven Staatsapparat. Da wird kein Blatt mehr vor den Mund genommen. Die einzige Demokratie, die es heute in der arabischen Welt gibt, ist die Demokratie der Fernbedienung. Und die wird genutzt, weg von den staatlichen regimefreundlichen Programmen. Das Problem liegt vielmehr woanders.
Nämlich?
Habe ich heute als Araber die Möglichkeit, an fast alle kritischen Informationen zu kommen, kann ich damit nichts anfangen, denn mir sind politisch die Hände gebunden. Ich weiß, was vor sich geht, bin aber ohnmächtig etwas dagegen zu tun. Eine gefährliche Mischung, der Frust steigt und steigt und die Menschen suchen ihr Heil in radikalen Lösungen. In meinem Buch versuche ich das unter dem Titel: „Hilfe meine Tante ist Terroristin“ zu beschreiben. Das Ibn-Khaldun-Zentrum des prominenten ägyptischen Soziologen Saad Eddin Ibrahim kam auf der etwas wissenschaftlicheren Basis einer Meinungsumfrage zum gleichen Ergebnis. Hezb’allah-Chef Nasrallah rangierte für die Ägypter als "wichtigster regionaler Politiker" mit Abstand auf Platz eins - nach dem iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, dem Hamas-Chef Khaled Maschaal, Bin Laden und dem Chef der ägyptischen Muslimbrüder Mahdi Akef. Der ägyptische Präsident Husni Mubarak lag abgeschlagen auf Rang 18.
Daran wird nicht bloss Mubarak keinen Gefallen finden!
Eine Auflistung, in der Tat kaum nach westlichem Geschmack, die auch zeigt, wie sehr die arabische öffentliche Meinung ihre Hoffnung auf eine friedliche Lösung der Konflikte der Region verloren hat. Wer auf Konfrontationskurs geht, steigt in der Beliebtheitsskala. "Islamistische Organisationen sind aus einem einzigen Grund in diesem Teil der Welt populär geworden: sie leisten Widerstand", schlussfolgert der liberale ägyptische Kolumnist Salama Ahmad Salama. Westliche Medien haben aufgehört in solchen Fälle die Frage des „Warum“ zu stellen. Es wird nur arrogant verurteilt. Aber wer politisch denkt, der muss die Lage immer mit einem „warum“ analysieren – denn nur über diesen Weg findet man den Weg nach draussen – zu einer Lösung. Das ist die eigentliche schwere Aufgabe der Nahostberichterstattung, die westliche Arroganz hinter sich zu lassen und die anderen Menschen ernst zu nehmen.
Eigentlich ist er ja - wie unsereins ursprünglich - ein Traditioneller: Fernsekorrespondent, für den österreichischen Rundfunk ORF, und Schreiben für verschiedene Zeitungen. Und das aus Kairo. Nun hat sich Kollege Karim&nbs
Aufgenommen: Mai 19, 11:22
Mittwoch, 16. Februar 2011 um 23:16 >> antworten