Die Zombies von Gaza
Freitag, 14. Dezember 2007
Die Zombies von Gaza
Die Szenerie erinnert an einen Horror-Film, bloss dass es hier ums reale Leben geht: Mit starrem Blick, völlig verstört, unansprechbar laufen Menschen apathisch durch die Strassen. Im Müll wühlen sie nach Essbarem. Zombies, auf den Strassen Gazas. 80 Prozent der Menschen im Gazastreifen werden von Hilfswerken mit Lebensmitteln versorgt. Deshalb sind noch keine wirklich hungernden Kinder zu sehen.
Wer sich aber monatelang kaum noch warme Mahlzeiten leisten kann, von Tee und Fladenbrot lebt, dessen Körper und Seele reagieren rasch: Fehl- und Mangelernährung sind weit verbreitet. 90 Prozent der Kinder werden als traumatisiert diagnostiziert. Wachstumsstörungen, Konzentrationsschwächen, Aggression zu Hause, in der Schule gehören zum Alltag wie israelische Kampfflieger: Die jahrelange israelische Besatzung, aber auch die blutigen innerpalästinensischen Kämpfe der letzten Monate haben tiefe Narben hinterlassen. Der seit Jahren anhaltende psychologische Druck zerstört die palästinensische Gesellschaft schrittweise aber konsequent. Das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge UNWRA fürchtet deshalb, dass ganze Generationen an Palästinensern «verloren» seien verloren an die Hassprediger radikaler Organisationen. Hunger ist halt ein schlechter Begleiter, aber dankbarer Erntegrund für Fanatiker.
In solchen Zeiten lassen Sätze aufhorchen wie: «Israel sieht die Leiden der Palästinenser»; erst recht wenn sie von Israels Premier Ehud Olmert stammen. Doch sprach Olmert im Rahmen des diplomatischen Feuerwerks von Annapolis mit gespaltener Zunge?
Olmerts Regierung ist es, die den Gazastreifen im Juni zum «feindlichen Territorium» erklärte. Olmerts Regierung ist es auch, die vom israelischen Obersten Gerichtshof soeben teilweise zurückgepfiffen wurde: Bevor die Treibstoff-Versorgung für den Gazastreifen schrittweise zugedreht wird, müssen Politik und Armee zusätzliche Informationen vorbringen. Den Richtern scheint klargeworden zu sein, dass niemand auch die israelische Armee nicht garantieren kann, dass beim Kappen der Treibstoff- oder Stromversorgung lediglich bestimmte Quartiere Gazas in Finsternis versetzt werden und nicht etwa Spitäler.
Bereits heute ist es nicht mehr möglich, Waschmaschinen für Spitäler einzuführen, Ersatzteile für Dialyse-Geräte, und nur noch beschränkt Sauerstoff-Flaschen. In Gazas grösstem Spital, dem Shifaa Hospital, mussten tageweise sämtliche Operationen abgesagt werden, da kein Sauerstoff für die Beatmung der Patienten vorhanden war. Israel verweigert praktisch allen Patienten aus dem Gaza-streifen die Einreise: Am 17. November starb der 21-jährige Nael el-Kurdi in Gaza. Israels Armee hatte sich gegen die Ein-reise des jungen Krebspatienten zur Fortsetzung seiner Chemotherapie gestellt.
Die letzten zwei Wochen blieben in Gaza die Tankstellen weitgehend geschlossen. Der israelische Treibstofflieferant Dor Alon hafte wegen ausstehender Zahlungen nur einen Teil des Benzins geliefert. Offenbar hatte die Palästinenser-Regierung in Ramallah die Rechnungen für den Gazastreifen nicht bezahlt innerpalästinensisches Machtspiel auf dem Buckel von 1,5 Millionen Menschen im Gazastreifen.
Um die 2000 Kassem-Raketen feuerten radikale Palästinenser laut der israelischen Armee dieses Jahr aus dem Gazastreifen auf Israel ab. Zwei israelische Zivilisten wurden dadurch getötet. Im Gegenzug töteten israelische Sicherheitskräffe im Gazastreifen 236 Palästinenser, 345 Menschen kamen bei internen palästinensischen Kämpfen ums Leben. Diese nackten Zahlen der israelischen Menschenrechtsorganisation BTselem zeigen: Die Kassem-Raketen sind keine strategische Bedrohung Israels, auch wenn sie einen Teil der Bevölkerung im Süden Israels in Furcht versetzen; Menschen, die sich nicht ganz zu Unrecht von der Regierung im fernen Jerusalem beschränkt beschützt fühlen.
Primär aber zeigen die Raketen, wie hilflos Politik und Militär dem Gaza-Phänomen gegen-überstehen. Benjamin Ben-Elieser, Israels Infrastrukturminister, plädierte Mitte Juni für eine völlige Abkoppelung Israels vom Gazastreifen. Agypten soll also einziger Grenzübergang, Energie- und Gesundheitsversorger werden was faktisch einem ökonomischen Todesurteil für den Gazastreifen gleichkäme.
Und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, IKRK? Der Rolls-Royce der Hilfsorganisationen reklamiert zwar grosse Schwierigkeiten bei der Einfuhr von Gütern, ansonsten hüllt sich die Organisation wie der Westen in vornehmes Schweigen. Aussenministerin Micheline Calmy-Rey etwa wedelt seit September mit einem internen Papier namens «Access to and from Gaza»; eine gescheite Analyse der missachteten Menschenrechte im Gazastreifen mehr auch nicht.
Irgendwann macht man sich zum Komplizen.
(publiziert in: tachles, jüdische wochenzeitung 14-12-07)
Die Menschenrechts-Organisatio n Huma [...]