Frau Kollegin: Sybille Oetliker, Basler / Aargauer Zeitung, Jerusalem
Sybille, auch diese Woche ist die Schweiz nochmals beschuldigt worden, "Geschäfte mit dem Teufel" zu machen, dieses Mal von der liberalen "Haaretz"; der von der Schweizer Aussenministerin unterstützte schweizerisch - iranische Gas-Deal bewegt die israelischen Gemüter. Zu Recht?
Seit Monaten wird hier fast täglich mitunter in recht apokalyptischer Manier über die Gefährlichkeit Irans berichtet. Iran wird in der israelischen Oeffentlichkeit als reale existentielle Bedrohung wahrgenommen. Ich persönlich fand die Iran-Reise der Schweizer Aussenministerin problematisch. Die Diskussion darüber, muss allerdings primär in der Schweiz geführt werden. Den Vergleich von "Haaretz" mit der Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges fand ist deplatziert.
Der Tonfall, sei es in den israelischen Medien, sei es des israelischen Botschafters in der Schweiz, war doch sehr undiplomatisch - stört das nur mich?
Ich erwarte von den israelischen Medien nicht, dass sie sich diplomatisch über die Schweizer Politik äussern. Den Tonfall des israelischen Aussenministeriums nehme ich zur Kenntnis und bin davon überzeugt, dass er für sich selbst spricht. Er ist Teil der israelischen Politik, mit öffentlichem Druck und Einschüchterung die eigenen Interessen zu verteidigen. Es lohnt sich allerdings, ab und zu gedanklich die Dinge umzudrehen: Wie würde Israel reagieren, wenn die Schweiz in der gleichen Tonalität den stetigen Ausbau der Siedlungen in Ost-Jerusalem oder die wirtschaftliche Blockade des Gaza-Streifens anprangern würde?
Du berichtest seit bald einmal vier Jahren aus Jerusalem, Jahre in denen sich die Politiker vor allem durch nette Sprüche über Friedensverhandlungen, einen gewaltigen Gesprächs-Leerlauf profiliert haben. Enttäuscht über Deine vier Jahre?
Bei der Arbeit geht es nicht primär um meine Emotionen und als Journalistin bin ich nicht enttäuscht über die Situation hier. Allerdings ärgert es mich als Person und Bürgerin, dass die internationale Gemeinschaft - auch die Schweiz - im israelisch-palästinensischen Konflikt doppelte Standards anwendet. Israel spielt konsequent den Sonderfall des jüdischen Staates aus, kontert Kritik mit existentiellen Aengsten und unterstellt sehr schnell Antisemitismus - und hat damit Erfolg. Die internationale Gemeinschaft tut so, als sei Israel ein ganz normales Land - die einzige Demokratie im Nahen Osten - und blendet aus, dass Israel seit 1967 auch eine Besatzungsmacht ist, welche ihre Kontrolle im besetzten palästinensischen Gebiet systematisch zu Lasten der palästinensischen Bevölkerung ausbaut und dabei kontinuierlich gegen internationales Recht verstösst und Menschenrechtsverletzungen begeht.
Ob Israels Regierung selber allenfalls noch an die offizielle Doktrin glaubt, einzig mit einer militärischen Option das - wie es hierzulande bezeichnet wird - "Gaza-Problem" anzupacken, ist fraglich. Stimmen werden lauter, die die Gaza-Blockade als Eigentor beschreiben. Sollte Israel in den Dialog mit der Hamas treten?
Israel wird über kurz oder lang keine Wahl haben. Hamas hat freie und faire Wahlen gewonnen und ist - nicht zuletzt als Resultat der israelischen Politik im besetzten Gebiet - eine Realität. Die israelische Strategie der kollektiven Bestrafung der palästinensischen Bevölkerung führt nur zu mehr Leiden und Gewalt, bringt aber keine Lösung. Israel kann sich allerdings immer darauf berufen, dass seine Boykott-Politik von der internationalen Gemeinschaft unterstützt wird. Diese ist für das Desaster mitverantwortlich.
Wer in den Gaza-Streifen reist, kann den regelrechten Zerfall der palästinensischen Bevölkerung beobachten: Wie transportierst Du Deine Eindrücke aus dem Gaza-Streifen Deinen Schweizer Leserinnen und Lesern?
Seit den Spannungen zwischen Fatah und Hamas und seitdem der Gaza-Streifen und das Westjordanland als getrennte Einheiten wahrgenommen werden, wird es immer schwieriger, die Redaktionen für Geschichten über Gaza zu interessieren. Ich versuche eine Mischung aus politischer Analyse und dem Darstellen von Einzelschicksalen.
Sybille, Du warst eine Parlaments-Journalistin im beschaulichen Bern: was ist mit Dir als Journalistin in Deiner Zeit im Nahen Osten geschehen?
Auch im Bundeshaus gibt es mitunter spannungsgeladene Themen. Ich habe allerdings in den Jahren im Bundeshaus nie soviel Reaktionen bekommen wie auf meine Arbeit hier. Du kannst den Bundesrat in der Schweiz hart kritisieren, ohne dafür gemassregelt zu werden. Die Nahost-Berichterstattung allerdings polarisiert. Viele haben eine Meinung zur Situation, wenige allerdings eine Ahnung, von dem was hier wirklich geschieht. Leserbriefe sind das eine, problematischer sind direkte Interventionen bei den Chefredaktionen und / oder Verlegern.
Was wird Dich in den nächsten Wochen journalistisch beschäftigen?
Ich recherchiere für eine Serie zum 60-jährigen Jubiläum. So habe ich kürzlich zwei inzwischen alte Männer getroffen, die 1948 erlebt haben. Ihre Lebensgeschichte zeigt die ganze Spannung der Situation hier auf: ein Holocaust-Ueberlebender, für den mit der Gründung des Staates Israel ein Traum in Erfüllung ging und ein Palästinenser, der nur knapp ein Massaker der israelischen Armee in Lidd überlebt hat und noch immer traumatisiert ist von der "Katastrophe", die sich für die arabische Bevölkerung damals ereignete.
Die Menschenrechts-Organisatio n Huma [...]