Frau Kollegin: Karin Wenger, NZZ Freelancerin Damaskus/Gaza
Karin, Du bist zur Zeit in Syrien unterwegs. Ein journalistisch heikles Terrain...
Ja, Syrien ist ein journalistisches Abenteuer. Die Themenauswahl ist ein ständiges Abwägen, ein Ausloten der Möglichkeiten in diesem politisch so sensiblen Land. Offiziell als Journalistin hier zu arbeiten und zu leben, ist beinahe nicht möglich. Deshalb haben die wenigsten ausländischen Journalisten, die in Syrien wohnen, eine offizielle Presseakkreditierung ...
Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter traf sich soeben in Damaskus mit Hamas-Führer Khaled Meshal. Haben die Syrer davon was mitbekommen?
Der Gemüseverkäufer bei mir um die Ecke und auch die anderen Männer im Suk wussten, dass Carter kommt. Man hat sich darüber gefreut, weil Carters Besuch doch primär als Seitenhieb gegen die Sanktionspolitik und gegen Israel wahrgenommen wurde. Ansonsten sind die Medien jedoch nichts weiter als ein gut orchestrierter Chor des Regimes und sicher nicht die Plattform für Staats- oder Gesellschaftskritik.
Die USA und Israel trauen den Signalen der Hamas zu einem Waffenstillstand nicht, von direkten Gesprächen mit der Hamas ganz zu schweigen. Führt denn ein Weg vorbei an Gesprächen zwischen den Kriegsparteien?
Ohne Gespräche keine Lösung und keine Entspannung der Situation. Die Frage ist jedoch viel mehr: Will Israel und wollen die Extremisten in den Reihen der Hamas überhaupt eine Entspannung der Situation? Denn Israels und Europas Ziel, wie auch jenes der Fatah, ist ja immer noch, die Hamas zu schwächen. Die Boykott-Strategie hat bis jetzt jedoch vor allem mehr Armut und Elend im Gazastreifen bewirkt, die politische Hamas geschwächt und die Extremisten gestärkt. Gestürzt wurde die Hamas nicht. Sie verfolgt eine Politik des Aussitzens und wird das sicher auch weiterhin tun. Als ich das letzte Mal im Gazastreifen war und mit Mahmud Zahar, einem führenden Hamas-Mitglied, gesprochen habe, sagte er ganz klar: Wir sind bereit für ein Gespräch, wenn wir ein faires Angebot – sprich zuerst einmal ein Ende des Boykotts – erhalten.
Du berichtest vor allem aus den palästinensischen Gebieten - was Dir entsprechend den Vorwurf der Einseitigkeit einträgt. Zu recht?
Wenn meine Kritiker einseitig mit kritisch verwechseln, dann haben sie durchaus recht. Vielleicht übersehen sie jedoch, dass ich nicht nur die Auswirkungen der israelischen Besetzungspolitik beschreibe – leider gibt es da wenig Erfreuliches zu berichten -, sondern auch innerpalästinensische Vorgänge kritisch betrachte und darüber schreibe...
...was in der Tat selten vorkommt...
... mich erstaunt immer wieder, dass sich der Vorwurf der Einseitigkeit primär gegen jene richtet, die von palästinensischem Terrain berichten. Über neunzig Prozent der ausländischen Journalisten sind jedoch in Tel Aviv und Jerusalem stationiert und kommen sehr selten in Berührung mit der palästinensischen Wirklichkeit. Sie schreiben über Israel oder übersetzen für die Berichterstattung über die Palästinenser-Gebiete aus israelischen Zeitungen. Diese widerspiegeln jedoch eine Realität, die selten jenem Alltag entspricht, den ich im Gazastreifen und im Westjordanland miterleben kann. Vielleicht müsste man dort einmal mit der Kritik ansetzen.
So denn: Was ist denn mit der Bevölkerung des Gaza-Streifens in den letzten Jahren geschehen?
Ich bereise seit vier Jahren regelmässig den Gazastreifen. Jedes Mal wenn ich nach Gaza zurückkehrte, traf ich auf noch grössere Misere und Hoffnungslosigkeit. Diese Hoffnungslosigkeit ist der beste Nährboden für mehr Extremismus. All die jungen Männer, die ich von den Kassam-Brigaden, dem Islamischen Jihad oder den Aksa-Brigaden getroffen hatte, nannten diese Hoffnungslosigkeit und die Wut auf die Besetzer als Hauptgrund für ihre Teilnahme am Widerstand. Sie haben nichts mehr zu verlieren, das macht sie für Israel gefährlich.
Ueber Deine Begegnungen mit Palästinensern hast Du ein Buch geschrieben: Leben die von die beschriebenen Personen überhaupt noch?
Nein. Einer meiner Protagonisten, ein Anführer der Aksa-Brigaden in Nablus, wurde erschossen. Von anderen weiss ich nicht, ob sie noch leben. Einer der Protagonisten hat ein Ausreiseverbot und darf sich nur noch in einem Umkreis von wenigen Kilometern um Nablus und das Flüchtlingslager Balata herum bewegen. Die israelische Armee nennt das eine Sicherheitsmassnahme und seine Akte ist nicht einmal seiner israelischen Anwältin zugänglich.
Und wie steht’s um die israelische Sicht der Dinge?
Das Buch (Checkpoint Huwara – Israelische Elitesoldaten und palästinensische Widerstandskämpfer brechen das Schweigen) beschreibt nicht nur das Leben in den besetzten Gebieten. Ich lasse darin auch israelische Elitesoldaten zu Wort kommen, die aus ihrem Leben und von ihren Erfahrungen erzählen. Auch einer von ihnen hat den Libanonkrieg 2006 nur knapp überlebt.
Der israelisch-palästinensische Konflikt macht nur noch selten Schlagzeilen, und wenn dann bei Anschlägen oder Angriffen. Das ist auch ein bisschen eine journalistische Bankrott-Erklärung, oder?
Die Bankrott-Erklärung ist meiner Meinung nach, dass die Menschen in diesem Konflikt nicht mehr als Menschen wahrgenommen werden. Sie werden in Todesopfer-Zahlen abgehandelt und damit sehr schnell vergessen. Deshalb lautet mein Motto: zurück zu Geschichten mit Protagonisten, zu denen die Leser eine Beziehung knüpfen können – wenn auch nur in Gedanken.
Karin, was wird Dich die nächsten Wochen journalistisch beschäftigen?
Ich fahre nach Gaza und wollte über das unsägliche Abwasserproblem im Norden des Gazastreifens berichten. Auch hat die Uno zur Zeit grosse Probleme, Hilfsgüter in den Gazastreifen zu bringen. Dann interessiert mich, was Tony Blair eigentlich so macht als Nahost-Abgesandter des Quartetts. Danach werde ich zusammen mit einer anderen Journalistin eine Gruppe von Jung-Journalisten durch Israel und die besetzten Gebiete führen – auf den Spuren von 60 Jahre Israel, 60 Jahre Nakba.
Die Menschenrechts-Organisatio n Huma [...]