Herr Kollege: Andreas Pfeifer, ORF Wien
Andreas, der Papst ist weg – ist ihm der Hochseilakt zwischen den verschiedenen Erwartungen geglückt?
Er hat eine Gratwanderung hinter sich gebracht, ohne Absturz diesmal, aber auch, ohne einen Gipfel zu erreichen.
Ein „shlicha", also eine Entschuldigung, drang nicht über seine Lippen – hättest Du das erwartet?
Ich bin nicht überrascht, dass sie ausgeblieben ist, finde die Erwartung aber legitim. Ein Papst, dessen Vorgänger Pius XII. zum Holocaust öffentlich geschwiegen, hat, der selbst - wenn auch unfreiwillig - in die Hitlerjugend eingeschrieben war und der - vor allem - gerade erst einem Holocaust-Leugner den Rückweg in den Schoß der Kirche geebnet hat, weckt Erklärungsbedarf, der mit lyrisch-theologischen Traktaten nicht zu stillen ist.
Hast Du Verständnis für die Teils doch sehr harsche Haue, die Benedikt XVI. von den israelischen Medien einstecken musste?
Ich habe Verständnis für das Unbehagen an der israelischen Neigung, Wortlaut, Tonfall und Gestus des individuellen Gedenkens an den inkommensurablen Schrecken des Holocaust einer recht unbarmherzigen Exegese zu unterziehen, als gäbe es so etwas wie politisch-korrekte Trauerarbeit. Gemessen aber an den Irritationen, die der deutsche Papst bereits in die Welt gesetzt hat, ist die harsche Kritik für mich nachvollziehbar.
Cui bono, wem nützte diese Papst-Nahost-Reise, dem Dialog zwischen den Religionen?
Ich glaube, dass der Besuch eines Papstes, ganz unabhängig von seinen religiösen Konnotationen, für Jordanien, Israel, vor allem natürlich für die Palästinenser eine wichtige diplomatische Anerkennung darstellt, die für das Selbstverständnis dieser Länder wichtig ist, und zur Not auch instrumentalisiert wird. Für einen entrückten Theologenpapst hat Benedikt XVI. ja auch ziemlich deutliche Worte zur Zweistaatenlösung gefunden. Jenseits davon: in einer Weltgegend, in der gleich drei monotheistische Religionen humorlos wetteifernd beheimatet sind, scheint mir der interreligiöse Dialog jenseits seiner akademischen Rituale wirklich wichtig zu sein. Ein Papst, der in Socken durch eine Moschee läuft, ist ein einprägsames Bild wider den Kampf der Kulturen. Der Nachhall der "Regensburger Rede" war während dieser Reise jedenfalls kaum zu hören.
Als damaliger Römer Korrespondent des ORF hast Du, ebenso wie ich fürs Schweizer Fernsehen SF, über den „Medienpapst" Johannes Paul II. berichtet. Teilst Du meine Einschätzung, wonach der deutsche Papst sich weit weniger als ein Papst der Massen sieht denn der Pole Papst Wojtyla?
Ja, teile ich und schätze ich. Der zirzensische Pastoralismus von JP II. war ja am Ende kaum noch auszuhalten. Benedikts Maxime der "Konzentration auf das Kerngeschäft" halte ich für richtig. Das Problem ist, dass seine Arbeit an der Verinnerlichung des katholischen Glaubens nicht von franziskanischer Demut gespeist wird, sondern immer wieder durch das Großmachtsstreben einer Weltkirche durchkreuzt wird. Das sorgt - wie man erleben kann - für Konflikte.
Als Auslandschef des ORF bist Du mittlerweile für die Nahost-Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen österreichischen Fernsehens verantwortlich: zufrieden mit Eurer Abhandlung des Nahen Ostens?
Zufrieden, weil wir die Chance haben, zwei Schlaglichter auf den einen großen Konflikt zu werfen. Mit Hilfe unserer Korrespondenten Ben Segenreich (Tel Aviv) und Karim El Gawhary (Kairo), die durchaus unterschiedliche Ansichten und Erfahrungen einbringen. Im direkten Vergleich ihrer Expertise - nicht selten durch Doppelschaltungen im Fernsehen - können wir zwar nicht die Wahrheit freilegen, aber zumindest einige ihrer divergierenden Teilaspekte. Und ohne Pluralität der Perspektiven kann man den Nah-Ost-Konflikt wohl überhaupt nicht begreifen, geschweige denn erklären.
Kriegen denn die Korrespondenten in Cairo und Tel Aviv den geforderten Platz für ihre Hintergrundberichte?
Selten genug. Oft genug müssen auch sie Raketen, Tote und Verletzte aufbieten, um ins Programm zu kommen. Ich habe selbst festgestellt, dass der Papstbesuch eine der seltenen Gelegenheiten war, Israel einmal von einer gesellschaftspolitischen Warte aus zu betrachten und darzustellen. Hintergrundberichterstattung hat in aktuellen Nachrichtensendungen ohnehin einen zunehmend schwierigen Stand.
Aber wir sind uns einig: Viele auf den Redaktionen und vor dem Fernseher sehen den Nahen und Mittleren Osten primär einmal als Quotenkiller...
Wir sind uns einig. Sehr vieles, was sich dort abspielt, lässt sich unter dem Rubrik "Nichts Neues unter der nahöstlichen Sonne" ablegen - und ich frage mich selbst oft, ob wir über jeden taktisch-halbherzigen und am Ende bedeutungslosen Friedenspolitikmillimeter berichten müssen. Es wäre allerdings gefährlich und wohl auch falsch, diese Weltgegend achselzuckend als unrettbar sich selbst zu überlassen. Eine Berichterstattung, die mehr die Alltagsrealität als die politischen Akteure ins Bild rückt, brächte mehr. Ich jedenfalls habe in Jerusalem Bilder gesehen und Stimmen gehört, die in Fernsehberichten kaum vorkommen.
Und damit schalten wir nach Washington – wo Du ja auch schon als ORF - Korrespondent tätig warst: Der Antrittsbesuch Bibi Netanyahus bei Barak Obama scheint nicht wirklich geglückt. Was erwartest Du Dir von der Obama-Regierung, eine De-Eskalierungspolitik oder primär rhetorische Unterschiede zur Bush-Politik?
Der Unterschied zur Bush-Politik ist substantiell, und ich glaube auch, dass die sprachliche Vermittlung von politischen Haltungen mehr bedeutet als eine rhetorische Finte - martialische Sprache richtet ja auch substantielle Schrecklichkeiten an. Ich habe in Israel festgestellt, dass Obamas noch nicht wirklich enthüllte Nah-Ost-Strategie für heilsame Verunsicherung sorgt. Und ich finde es ok, wenn die amerikanische Rückendeckung für israelische Politik von einem reflexartigen in einen reflektierenden Modus wechselt. Im besten Falle gelingt es Obama, Politik und Weltpolitik auf eine transnationale Metaebene zu heben, die den globalisierten Zeitläuften realpolitisch entspricht und die vielen Machtverliebten alten Schlages wirklich alt aussehen lässt. Ein frommer Wunsch, ja. Ansonsten verdienen messianische Gestalten weiterhin unsere profanierende journalistische Begleitung - das haben wir beide ja im Lande der Päpste und des ewig irrlichternden Medienmephistos gelernt, nicht wahr ?
Andreas, was wird Dich journalistisch die nächsten Wochen beschäftigen?
Obamas nächste Reise - Kairo, Frankreich, Deutschland - und der G8 Gipfel im italienischen Bebengebiet.
Die Menschenrechts-Organisatio n Huma [...]