Frau Kollegin: Bettina Marx, ARD - Radio Tel Aviv/Berlin

Bettina, nach 10 Monaten in Deutschland bist Du für eine Stellvertretung wieder zurück in Israel. Heimweh?
Ja, schon. Nach fünf sehr anstrengenden Jahren in Israel mit vier Wahlen, zwei Kriegen, der Intifada usw. war ich ziemlich ausgepowert. Jetzt bin ich aber froh, wieder hier zu sein. Ich habe immer Heimweh nach dem Nahen Osten, wenn ich nicht hier bin.
Was hat sich denn in Deiner Wahrnehmung seit Deinem Wegzug hierzulande verändert?
Der Verkehr ist noch schlimmer geworden und das Fernsehprogramm noch seichter...
Und auf der palästinensischen Seite?
Ich bin bislang nur in Ramallah gewesen und habe dort festgestellt, dass es viele neue Cafés und Restaurants gibt. Das liegt daran, dass immer mehr Palästinenser aus Ostjerusalem, die jetzt hinter der Mauer leben und daher nicht mehr so ohne weiteres in die Innenstadt kommen können, ihren Lebensmittelpunkt nach Ramallah verlagert haben. In Gaza war ich noch nicht. Von meinem Freunden und Bekannten dort höre ich aber, dass sich die Lage dramatisch verschlimmert hat. Vor allem die Abwasserentsorgung funktioniert nicht mehr richtig, weil durch die Blockade keine Ersatzteile hineinkönnen. Die Versorgungslage ist extrem schlecht und die Menschen leiden darunter, dass sie so völlig isoliert sind. Ich finde die Blockade gegen den Gazastreifen ein Verbrechen, an dem sich auch die Europäer mitschuldig machen.
Du warst bis Ende 2007, also während 5 Jahren, als Korrespondentin in Tel Aviv stationiert. Hast Du Dich in dieser Zeit als Journalistin, Deine Persönlichkeit aufgrund des Erlebten verändert?
Das glaube ich nicht. Vielleicht bin ich ein bisschen zynischer geworden.
Will man die deutschsprachige Blogger- und Lobby-Gemeinde als Masstab nehmen, dann bist Du die wohl meist geprügelte deutschsprachige Journalistin, die über Israel und Palästina berichtet.
Ist das so? Ehrlich gesagt, ich schau mir das nicht an im Internet. Darum an dieser Stelle einen Gruß an meine „Fangemeinde" im Web: Leute, es lohnt sich nicht, mich im Internet zu diffamieren. Ich nehme es nicht mal zur Kenntnis.
Na, dann frage ich andersrum: Wie steckst Du die nicht selten wenig konstruktive Kritik - ums mal sehr vornehm zu formulieren – an der Nahost-Berichterstattung weg?
Gegen konstruktive Kritik oder auch faire Auseinandersetzung habe ich nichts. Was mich an der Debatte in Deutschland stört, ist, dass sie fast immer unfair geführt wird. Es geht ja offenbar nicht darum, sich über unterschiedliche Standpunkte auszutauschen oder unterschiedliche Analysen der Situation im Nahen Osten zu bewerten, sondern es geht darum, die Kritiker der israelischen Politik mundtot zu machen und sie wenigstens beruflich zu vernichten.
Die meisten negativen Hörerbriefe, die ich bekomme, sind widerliche Schmähbriefe, voll mit persönlichen Diffamierungen und manchmal sogar Drohungen. Ich lese nur noch die ersten Zeilen, dann werfe ich sie gleich weg. Ich bekomme aber auch viel zustimmende und freundliche Post. Darüber freue ich mich natürlich.
Woran liegt's eigentlich, dass bei vielen deutschsprachigen Journalisten, die über den israelisch-palästinensischen Konflikt berichten, andere Journalisten-Masstäbe angewandt werden als etwa bei der Arbeit der Kollegen in der Schweiz oder Deutschland?
Ja, das ist komisch. Wenn ich als Frankreich-Korrespondentin den französischen Präsidenten kritisiere, würde mir niemand unterstellen, anti-französisch zu sein oder die Franzosen zu hassen. Wenn man jedoch die Politik der israelischen Regierung kritisiert, wird man schnell Antisemit genannt oder jüdischer Selbsthasser genannt. Das ist doch lächerlich. Es ist doch eher umgekehrt. Wenn man, so wie ich, die ich viele Jahre in Israel gelebt habe und hier zu einem guten Teil sozialisiert wurde, dieses Land mag, dann wünscht man sich vielleicht mehr als andere, dass Israel eine friedliche Zukunft hat. Meiner Meinung nach verhindert die israelische Politik aber genau das.
Vielleicht kann diese Debatte in Deutschland nicht ehrlich geführt werden, weil die Vergangenheit noch zu präsent ist und viele Deutsche sich schuldig fühlen an den Untaten der Nazis. Ich möchte hier Gideon Levy zitieren, der mir einmal sagte, dass er gerade von Deutschen erwartet, dass sie sich für Israels Zukunft einsetzen und das heißt seiner Meinung nach, dass sie eine falsche israelische Politik, die diese Zukunft verbaut, offen kritisieren sollen.
Kannst Du denn in Anbetracht der präsenten Geschichte als ARD-Journalistin frei und unabhängig aus und über Israel berichten?
Ja, absolut. Die ARD hat einen breiten Rücken und stellt sich bei unfairer diffamierender Kritik vor ihre Korrespondenten. Ich bin nie in meinen fünf Jahren als Korrespondentin in meiner Berichterstattung behindert oder eingeschränkt worden. Wirklich nie.
Barak Obama kam, sah und strahlte. Wird der neue US-Präsident die "Lage" im Nahen Osten entschärfen können?
Ich fürchte nicht. Obama kann vielleicht in der arabischen Welt den Hass abbauen, der sich dort gegen die USA angestaut hat. Die letzten Tage haben ja schon gezeigt, dass sein Wahlsieg auf der ganzen Welt bejubelt und sogar in der arabischen Welt positiv aufgenommen wurde. Was aber den Nahostkonflikt betrifft, so bin ich nicht sehr zuversichtlich. Es muss ja auch erst mal in Israel eine Bereitschaft geben, zu einem gerechten Kompromiss mit den Palästinensern zu kommen. Im jetzt anlaufenden Wahlkampf sieht es aber eher so aus, als ob Israel weiter nach rechts rückt.
Bettina, was wird Dich die nächsten Wochen journalistisch beschäftigen?
Ich bin ja leider nur kurz hier und habe sehr wenig Zeit. Die will ich nutzen, um in den Gazastreifen zu fahren und zu sehen, was sich dort in den letzten fünf Monaten, seit ich zum letzten Mal da war, verändert hat.
Die Menschenrechts-Organisatio n Huma [...]