Herr Kollege: Andreas Mink, tachles, New York
Andreas Mink, das Antrittsverlesen von US-Präsident Obama für Bibi Netanyahu und Mahmoud Abbas ist erwartungsgemäss ernüchternd ausgefallen – wie ernst ist es dem US – Präsidenten mit seinem Engagement im Nahen Osten?
Ich denke, dass es Barack Obama enorm ernst ist mit seinen Bemühungen um eine friedliche Lösung im Palästina-Konflikt. Er hat wiederholt betont, dass er diesen als eine wesentliche Ursache der instabilen Lage in der weiteren Region betrachtet. In meinen Augen hat Obama erkannt, dass die USA militärisch und finanziell massiv überdehnt sind und ihren noch verbleibenden (grossen) Einfluss darauf verwenden müssen, das Knäuel von Krisen und Konflikten von Palästina über Israel-Iran, hin zum Irak und bis zu “AfPak” zu entflechten und beizulegen, ehe diese völlig aus dem Ruder laufen und etwa zu einem Angriff Israels auf den Iran führen. Friede in Nahost würde Obama die Fokussierung auf die lange überfällige, wirtschaftliche und strukturelle Erneuerung Amerikas erlauben. Das Problem dabei ist natürlich, dass die USA zumindest mitverantwortlich für diese bedrohlichen Situationen sind.
Gibt es denn keinen Druck – oder eben just Gegendruck - seitens der ach‘ so einflussreichen jüdischen US-Lobby auf Obama?
Damit sprechen Sie eine der treibenden Kräfte für die verfehlte US-Politik im klassischen “Nahost-Konflikt” an, also dem um Palästina.
Und Obama?
Obama hat a) seit seiner Präsidentschaftskandidatur sehr grosse Rücksicht auf jüdische Sensibilitäten in den USA genommen und b) seit dem 20. Jan. 09 als Präsident so viel auf dem Zettel, dass er sich nicht auch noch mit der Israel-Lobby und deren Freunden in seiner eigenen Partei anlegen will.
Ich weiss nicht, wie weit das kluges, realistisches Kalkül ist, oder übergrosse Vorsicht (die ihm z.b. auch bei der US- Gesundheitsreform vorgeworfen wird). Aber er hat nie auch nur versucht - so weit bekannt, und so etwas würde schnell durchsickern -, etwa die ca. 3 Mrd. Dollar per anno als Druckmittel ins Gespräch zu bringen, mit denen der Kongress Israel unterstützt.
Diese neue, sogenannte soft diplomacy wird in der Tat im Nahen Osten schnell begriffen...
...Netanyahu hat daher nach einer Zitterphase schnell verstanden, dass Obama grosse Reden führt, aber wenig handgreifliches “follow up” hinterherschickt. Daher wurde das Gezerre um den Siedlungsstopp schnell zur Farce und jetzt hat Obama die Initiative so weit aus der Hand gegeben, dass er zu dieser uralten, irreführenden Floskel von der „Spirale der Gewalt” greift und “beide Seiten” zur “Vernunft” ruft.
Sie schreiben für das jüdische Wochenmagazin „tachles“, sind also ein Kenner der Lobby: Klären Sie uns auf, wie gewichtig ist dieses Phantom?
Die Israel-Lobby ist ja als Thema ein weites Feld, primär aber ein ganz natürliches, selbstverständliches Element der amerikanischen Politik.
"tachles" betrachtet die Lobby daher nicht als Geheimorganisation, sondern als wichtiges, wenn auch komplexes Thema unter anderen. Dabei gilt, dass eine entschlossene, effizient aufgestellte, recht kleine "mono-thematische" Gruppe sehr viel ausrichten kann, wenn sie a) keine ebenso tüchtigen Gegner hat und b) die richtigen Argumente findet, um Abgeordnete für sich zu gewinnen. AIPAC als Kerngruppe der Lobby hat das in rund 50 Jahren zu einer hohen Kunst entwickelt und bislang spricht für individuelle US-Abgeordnete praktisch nichts dagegen, Israel fraglos zu unterstützen. D.h. selbst ein Abgeordneter aus Bezirken ohne jüdische Wähler erspart sich Ärger, gewinnt gegenüber solchen Kollegen politische Chips und findet vielleicht sogar Wahlspender, wenn er auf der AIPAC-Linie fährt. Zudem ist der Nahost-Konflikt so super diffizil, dass die meisten Politiker hier sich gar nicht die Mühe machen, zu einer differenzierten Haltung zu kommen und lieber der Weltsicht von AIPAC folgen. Und schliesslich wird Israel aus religiösen, kulturellen und “pop-kulturellen” Gründen (von Filmen wie “Exodus” bis hin zum schlechten Gewissen über denHolocaust) ganz selbstverständlich als Amerika in vielen Zügen sehr ähnliches Land begriffen. Mit Blick auf das amerikanische Judentum wären die noch lange nicht “verarbeitete” Schockerfahrung der Verfolgung, gipfelnd im Völkermord von Nazi-Deutschland anzusprechen, sowie die “identity politcs”.
Mit “J-Street“ ist eine liberale Gegenposition zur Polter-Organisation AIPAC entstanden. Widerspiegelt dies auch das amerikanische Judentum?
Damit sprechen Sie das ethno-religiöse und kulturelle Selbstverständnis der als Gruppe ja sehr, sehr heterogenen Juden in den USA an. Bislang war Israel so etwas wie der wichtigste gemeinsame Nenner: Viele haben Freunde, Verwandte oer Geschäftspartner in Israel und betrachten die fraglose Unterstützung für den jüdischen Staat als selbstverständlichen Ausdruck ihrer Jüdischkeit. Die AIPAC-Linie ist ja: “Wir können und dürfen den Israeli keine Vorschriften machen, die wissen selbst viel besser, was gut für Israel ist.” J-Street versucht das aufzubrechen und eine liberale, oder “Tauben”-Identifikationsplattform zu schaffen, von der aus jüdischeUnterstützung für eine haltbare Zweistaatenlösung mobilisiert werden kann. Die stecken aber noch in den Kinderschuhen damit. Die Obama-Regierung nimmt J-Street aber sehr genau und hocherfreut wahr…
Die jüdische US-Bevölkerung hat ziemlich zu nagen an der Rechtsaussen – Regierung Netanyahu. Ist der Bruch zwischen US – Diaspora und Israel gewachsen?
Schwer zu sagen. Statistiken sprechen für ein wachsendes Desinteresse vor allem der jüngeren Juden an Israel hier. Politisch relevant ist das kaum, da Desinteresse keinen Druck auf Abgeordnete aufbaut. Allerdings finden durch Blogs wie “Mondoweiss” Hardline-kritische, jüdische Stimmen zunehmend Verbreitung. Daneben gibt es auch in Europa - von Israel ganz zu schweigen - eine liberale, jüdische Publizistik, zu der mein Arbeitgeber zählt, die Jüdische Medien AG in Zürich.
Seit 1997 berichten Sie für die jüdischen Magazine “Aufbau” und „tachles“ aus New York. Wie erleben Sie Israel aus der Ferne?
Ich habe die moderne Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens bei Prof. Helmut Mejcher in Hamburg studiert. In Israel war ich nur einmal, 2004, auf einer kurzen, aber sehr intensiven Tour mit dem Verleger Hubert Burda und 2, 3 Dutzend anderen Journalisten. Wir haben u.a. Forschungsinstitutionen wie das Weitzman Institute und Präsentationen von High Tech-Firmen auch aus dem Rüstungsbereich erlebt. Ich sehe Israel seither als Land, dass wie Singapur mit an der Weltspitze spielen will – und das auch tut – , wenn es um Technik, Forschung und innovatives Unternehmertum geht. Diese Gesellschaft braucht die Palästinenser heute nicht einmal mehr als Arbeitskräfte und hat nachvollziehbarer Weise nach der Serie von Kriegen (man sollte hier auf den ziemlich blutigen “arabischen Aufstand” in Palästina 1936-39 zurückgehen) irgendwann einmal beschlossen, dass die wirtschaftliche Zukunft des Landes weder von der – wirtschaftlich ja nicht sonderlich erfolgreichen oder kreativen – arabischen “Nachbarschaft” abhängen kann, noch darf.
...was nicht ganz unproblematisch ist...
Das Problem, der Schleppanker bei dieser ja gut vorangehenden Fahrt in die Integration mit den führenden Wirtschaftsmächten, sind die Siedlungen auf der Westbank und dem Golan, sowie die Abschnürung von Gaza. Will sagen: Israel kann sich nicht von der Region abnabeln, da es sich bislang keine definitiven Grenzen geschaffen hat, sondern den Siedlungsbau auf 1967 besetztem Gebiet als staatspolitisches Projekt erster Ordnung betreibt.
Sie scheuen sich nicht, auch sogenannt heisse Eisen anzupacken. Sie warfen sich unter dem Titel „Boykottiert die Boykotteure der Boykotteure...“ für den unter massiven Beschuss geratenen Neve Gordon ein, der sich für einen internationalen Boykott Israels ausgesprochen hat. Weshalb diese Solidarisierung mit Gordon?
Ich kenne Neve Gordon nur durch diesen einen Beitrag in der "LA Times", der dann diese heftige Reaktion u.a. seiner Präsidentin an der Ben Gurion University provoziert hat. Mein "tachles"-editorial dazu war keine Solidarisierung, sondern der Versuch, 2,3 Dinge zusammenzuspannen...
...da bin ich aber gespannt...
a) halte ich Boykotte gegen Israel (und Boykotte gegen Kritiker der Israel-Hardliner a la Netanyahu) für praktisch kontraproduktiv, vor allem aber für ethisch und rechtlich inakzeptabel. b) betrachte ich im Gegensatz zu Boykotten zumindest die offene Diskussion über die materielle Subventionierung Israels durch die USA (wie unter dem älteren Bush geschehen) als effektives und legitimes Druckinstrument. Die aggressiven Angriffe auf Gordon in Israel werden in den USA jedoch auch - zurecht – als Ausdruck einer Wagenburg-Mentalität gesehen, dh, dass die Besatzungspolitik nicht nur die Besetzten zermürbt, sondern auch die Besatzer, zumindest moralisch.
Ihre differenzierte Position dürfte Ihnen nicht nur Freunde eingebracht haben, oder täusche ich mich?
Ich bin für Kritik dankbar. Merkwürdigerweise nimmt mir jedoch bislang Niemand übel, was ich über den Nahost-Politik oder die “Lobby” auch für die NZZ und einmal für die Sonntags-FAZ geschrieben habe. Vielleicht liegt das daran, dass es mir um das Verständnis dieser hochdiffizilen Problematik geht. Ich denke nach 14 Jahren hier in den USA, dass sehr viele Stimmen in der hiesigen Debatte um Nahost Teil oder Partei des Konfliktes sind. Das ist verständlich und wesentlich: Israeli und Palästinenser (sowie beider Freunde hier) betrachten und erleben den Konflikt als einen auf Leben und Tod, als Konflikt, in dem deshalb gerade bei der Einflussnahme auf die Öffentlichkeit jedes Mittel recht ist. Dabei kann ich schon deshalb nicht mittun, weil ich weder Israeli (oder Jude), noch Araber bin.
In den letzten Jahren wurde nicht nur in der Politik, sondern auchgegenüber unabhängigen Geistern ein massiv verschärfter Ton angeschlagen.Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?
Denken Sie an den bedeutenden Historiker Tony Judt von der NYU, dem ein sehr nachdenkliches Essay über Israel als “verspätete Nation” aus dem Jahr 2003 die dauerhafte Feindschaft etwa von Abe Foxman von der Anti Defamation League eingetragen hat. Ich kann das wie gesagt nur als Ausdruck der existentiellen Natur des Nahost-Konfliktes und als Indiz für die weitere Zuspitzung des Konfliktes verstehen. Der Nahost-Konflikt (letztes Beispiel: die “Gaza-Inkursion”) belastet das Ansehen Israels weltweit zunehmend und weckt alte Ängste, d.h. diese jüdische Angst davor, dass “ein Madoff” das Ansehen aller Juden so beschädigt, dass die nichtjüdischen Mitbürger ihre nette Maske fallen lassen und sich als die Antisemiten entpuppen, die sie immer gewesen sind und immer sein werden. Elie Wiesel hat mir 2004 im Interview gesagt, dass er befürchtet, dass die Scham oder das Entsetzen der Nichtjuden über den Holocaust und damit die Tabuisierung des Antisemitismus verfliegen. Diese jüdischen Befürchtungen führen auch zu schärferer Kritik gegen jüdische “Netzbeschmutzer”.
Das „Israel Project“, eine nicht gerade zimperliche Lobby- Organisation, die auf die Beeinflussung von Journalisten fokussiert, brachte kürzlich eine Art Propaganda – Handbuch heraus, wie denn die rechte israelische Sache darzustellen sei. Wie erklären Sie sich diesen Drang nach Rechtfertigung, der nicht selten eher kontraproduktiv wirken kann?
Wir haben das auf die "tachles"-Website gestellt und darüber geschrieben. Das Handbuch dient nicht der Rechtfertigung, sondern ganz pragmatisch der Steuerung der öffentlichen Diskussion. So etwas geschieht hier (und wohl auch in Europa) ständig und gehört zum kleinen Ein-mal-Eins der Einflusspolitik. Denken Sie an das Geschrei von den “Todes-Ausschüssen”, die Obama angeblich bei der Gesundheitsreform einführen will. Bislang dominieren die Erklärungsmuster in dem Handbuch die öffentliche Diskussion hier, sind also keineswegs kontraproduktiv.
Ein erschreckender Begriff ist in diesem Zusammenhang der „self-hating Jew“, wie etwa US-Präsident Obamas Stabschef bezeichnet worden ist. Gibt’s eine Erklärung für so etwas?
Ich hab eben versucht, das zu umreissen –– der Konflikt spitzt sich zu, d.h. die Kolonisierung der Westbank und des viel weniger diskutierten Golan schreitet im Wettrennen mit dem arabischen Bevölkerungswachstum (zwischen Mittelmeer und Jordan, aber auch regional) und dem Ausbau des iranischen Nuklearpotentials voran, gleichzeitig erschlafft die Kraft Amerikas als Schutzmacht Israels. Es wäre ein Wunder, wenn da nicht die Nervosität ansteigen und die Tonlage rauher werden würde.
Andreas Mink, was wird Sie in den nächsten Wochen journalistisch beschäftigen?
Neben den grossen tagespolitischen Dingen wie Afghanistan oder Gesundheitsreform will ich einen alten deutsch-jüdischen Freund aus New York über seine Jugend in Mainz befragen. Ich hab auch noch eine Geschichte über den neuen Geschäftsführer der Jewish Claims Conference in der Pipeline. Da geht es um ein Thema, das viele Beziehungen zum Nahost-Konflikt hat: die Entschädigung von Nazi-Opfern.
Die Menschenrechts-Organisatio n Huma [...]