Der Westen, die Solidarität und die Enttäuschten
Der kommende Sonntag ist von der UNO zum internationalen Tag der Solidarität mit dem palästinensischen Volk erklärt worden. Na, dann hören wir doch mal zu, was uns die Solidarisierten so zu sagen haben, in Sachen Solidarität.
Hiyam Awad Marzouqa, Chefärztin, Bethlehem
“Von uns erwartest Du, dass wir warten, nachgeben und weiter warten - und unsere Politiker umarmen dann Eure Politiker fürs Nichtstun.“ Hiyam Awad Marzouqa, ist Ärztin, eine Kinderärztin. Ihren Glauben an die Politiker hat sie längst verloren, und der Westen - damit wären also wir gemeint – hat sich aus ihrer Sicht mindestens ebenso lange verabschiedet vom wirklichen Engagement wie die Herren Politiker.
Marzouqa tingelt diese Woche wieder einmal durch die Schweiz und Süd- Deutschland, erzählt abend für abend geduldig von den „Lebensbedingungen hinter der Mauer“, beantwortet Fragen zur Kindersterblichkeit, versucht zu erklären, was im Jahr 2009 kaum zu erklären ist; eine stille Schafferin gegen das Sterben, der das Scheinwerferlicht eigentlich zutiefst zuwider ist. Aber was tut sie nicht alles, damit in Zürich, der 380 000 Einwohner zählenden Stadt, dann 18 Zuhörerinnen und Zuhörer vorbei schauen.
Solidarität?
Am Montag früh wird Hiyam Awad Marzouqa wieder ins einzige Kinderspital im besetzten Westjordanland gehen, wie jeden guten, neuen Tag, an dem sie nicht im Westen gegen das Vergessen spricht. Und weil sie und ein paar Dutzend andere Ärzte das tun, sterben vielleicht ein paar Kinder weniger an Armutskrankheiten, Fehl- und Unterernährung. Krankheiten, die teilweise in den westlichen Lehrbüchern der Medizin gar nicht mehr erwähnt werden.
Und manchmal, abends, wenn wieder einmal eine palästinensische Familie ihren Säugling beerdigt hat, fragt sich die Chefärztin, was dieser Wahnsinn eigentlich soll.

“Welche Solidarität, wovon sprichst Du?“ Raed, der Taxi - Fahrer, lebt in einem Zelt. Das Zelt, in dem er, sein Vater, sein Bruder, seine Frau und zwei seiner acht Kinder leben, steht auf dem Trümmerhaufen, das einst sein Haus war. Der Trümmerhaufen liegt in Bei Hanoun, im Gaza-Streifen.
Am 8. November 2006 schlugen mehrere israelische Artillerie- Geschosse im Haus der Familie Raeds ein. 21 Menschen sterben, darunter 13 Angehörige einer einzigen Familie - es war Raeds Familie. Von der 86jährigen Grossmutter bis zum sechs Monate jungen Säugling, alle tot. Die Erklärung der israelischen Armee: ein "rares und ernsthaftes technisches Versagen eines Feuerkontrollsystems". Schuld am Tod der 21 Menschen ist niemand. Der Westen nimmt’s nicht zur Kenntnis.
Am 30. Dezember 2008 zerstört die israelische Armee ganze Strassenzüge Beit Hanouns. Als von diesem Stadtteil Gazas nur noch Trümmer übrig geblieben sind, fährt ein Panzer über Raeds gelbes Taxi; seine wirtschaftliche Existenz ist damit endgültig und sprichwörtlich am Boden zerstört.
Israels Artillerie und Kampfhelikopter sowie Kampfjets zerstören die einzige Mehlfabrik des Gaza - Streifens, bombardieren Hühner- und Kuhställe, Bulldozer werfen Zementlastwagen um, machen Fabriken unbrauchbar. All’ das, kurz bevor der einseitige Waffenstillstand ausgerufen wird.
Und heute, ein knappes Jahr danach? Wiederaufbau- Hilfe kommt keine in den Gaza - Streifen. Die Wirtschaftsblockade, vom Westen gestützt, geht weiter. Sämtliche Untersuchungsberichte, vom IKRK, Amnesty International, Human Rights Watch, Breaking the silence, B’Tselem und der UNO sprechen von gravierenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts durch beide Konfliktparteien während des Gaza - Krieges - ja und?
Die Weltpolitik, der Medientross, die Aufmerksamkeit des Westens - also von uns - ist schon lange weiter gezogen. Im Gaza - Streifen sterben sie auch ohne uns.
“Enttäuscht vom Westen? Wieso denn! Ihr habt uns ja nie wirklich ernst genommen und schon lange als Empfänger von ein paar Säcken Mehl und öl abgeschrieben.“ Raed sagt das in ganz ruhigem, sachlich gehaltenem Ton; er ist schon lange nicht mehr empört.
Raed, der Taxi - Fahrer, wird das neue Jahr am selben Ort verbringen, wie das alte Jahr begonnen hatte: In einem Zelt auf den Trümmern seines einstigen Hauses.
Heyya, Hanukka
Okay, hat etwas mehr Klasse. Und ehrlich gesagt gefällt mir aus meinem Wohnort auch etwas besser. Aber das hier ist auch nicht von schlechten Eltern. Sprich, organisiert wird das ganze von einer Organisation, die vor allem amerikanische jüdische Menschen ins Land bringen will.
Zunächst aber einmal kommt Hanukka - und das heisst auch fun. Ladies and Gentleman: Endlich mal Grund, den Hintern zu bewegen in Jerusalem. Enjoy!
Der Tabbouli - Song
Ende Oktober ging's in den Hummus - Krieg - und schon wieder schlägt's auf den Magen. Dieses Mal geht's um einen Salat, der primär einmal in der arabischen Welt genossen wird. Aber wer in Israel unterwegs ist, wird kaum daran vorbei kommen; liegt halt alles im Nahen Osten und nicht in Europa, gell.
Tabbouli kann durchaus der Völkerverständigung dienen - guten Appetit!
Give music a chance
Irgendwie verstimmt das Ganze.
Falls es Sie mal in den Gaza – Streifen verschlagen sollte, dann werden Sie auf etwas mit allergrösster Sicherheit kaum stossen: Kinder mit Musikinstrumenten. Nein, nicht weil die Eltern dafür kein Geld hätten. Oder weil die Kinder keine Lust zum Ueben hätten. Es gibt schlicht keine Musik-Instrumente mehr für Kids.
Meinetwegen halt keine Trompeten und Trommeln (Angriffs-Klänge, wenn Sie verstehen was ich meine); aber Gitarren, Flöten? Musik – Instrumente stehen auf dem Index. Auf dem Index jener Güter, die laut den israelischen Behörden nicht in den Gaza – Streifen eingeführt werden dürfen. Sie erinnern sich: Seit dem Rückzug der israelischen Siedler und Soldaten aus dem Gaza – Streifen im Sommer 2005 wird der Gürtel enger geschnallt; von einer Diät ist die Rede, an der die Palästinenser aber nicht sterben sollten... Im Juni 2007 wird nach der blutigen Machtübernahme der Hamas – Bewegung ein Wirtschaftsboykott erhoben. leben seither unter absurdesten Lebensbedingungen.
Zu dieser Strategie des Abwürgens gehört auch der Boykott von Musik – Instrumenten:
Give music a chance: eine belgische Organisation, die weltweit Musikprojekte unterstützt, Musikinstrumente besorgt, Reparaturen, Musiklehrer für Kurse bereit stellt – nix da, kein Zugang zum Gaza – Streifen.
UNICEF, das Kinderhilfswerk der UNO, möchte Kinderspielsachen in den Gaza – Streifen transportieren. Dazu gehören auch Musik-Instrumente für Kinder – nix da, kein Zugang zum Gaza – Streifen.
„There are a number of materials and types of goods that are banned from import into the Strip due to the possibility that the will aid terrorist activity or because their import deviates from the policy which is a broad - ranging civil – humanitarian policy.“ Das schreibt Israels stellvertretender Verteidigungsminister Matan Vilnai in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage.
Musik – Instrumente als Gehülfen für Terror – Aktivitäten?
Musik – Instrumente sind keine humanitären Güter?
Na ja, vielleicht üben die Kids im Gaza – Streifen sich ja tatsächlich lieber an der Kalaschnikov statt an der Gitarre oder lauschen radikalen Predigern statt Flötenklängen, gell.
Und es beruhigt grad überhaupt nicht, dass maskierte Fanatiker jüngst Musiker angegriffen haben, die auf Hochzeiten im Gaza - Streifen gespielt hatten.
Irgendwie verstimmt das Ganze.
James Nachtwey spricht
„Afghanistan is one oft he most beautiful countries I’ve ever seen, and some oft he most terrible things happen there.“
James Nachtwey, der Kriegsfotograf, ist für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz IKRK nach Afghanistan geflogen. Was er uns zeigt, ist ein stilles, eindrückliches Anti- Kriegs- Plädoyer.
Freedom und sonstige Fighters
Den Titel gibt’s noch gar nicht, aber schon wird scharf geschossen.
In “My Father was a Freedom Fighter – Gaza’s untold story” beschreibt der palästinensisch-amerikanische Journalist und Aktivist Ramzy Baroud seine Familiengeschichte, stellvertretend für den absurden Alltag der Menschen im Gaza-Streifen.
Nur kurze Zeit nachdem der Lounch des Buches beim britischen Pluto – Verlag auf seiner online-Nachrichtenplattform (die aus Israel nicht abrufbar ist) angekündigt wurde, hätten Hacker seine persönliche hompepage attackiert und lahmgelegt, sagt Baroud. Laut Baroud sei seine homepage von Israel aus gehackt worden. Dies sei bereits während des israelischen Gaza – Krieges vom Dezember 08/Januar 09 geschehen.
Ob’s ein willkommener PR-omotions-Gag des Verlages ist? Mag sein, mag nicht sein. Fakt ist, dass Baroud’s homepage seit Tagen offline ist. Fakt ist auch, dass immer unverhohlener auf den Mann gespielt wird.
Im Krieg wird wenig Rücksicht genommen.
Kurze Frage
Flotte Werbung in eigener Sache der Kollegen von der BBC - never stop asking, heisst's da. You can't suppress a powerful question.
Wohl wahr, eigentlich. Was aber, wenn die Fragen nicht mehr gestellt werden, nicht mehr gefragt werden will, nicht mehr gefragt werden soll, oder nicht mehr gefragt werden kann?
Und so wollen wir doch künftig an dieser Stelle die eine oder andere kurze Frage in die Runde werfen.
Heute wollt' ich fragen:
Israels Ministerin für die Absorption von Immigranten, Sofa Landver, fliegt nach Marokko an eine Euro - Med - Konferenz, die sich mit dem Status der Frauen befasst. Sichtlich erstaunt, stellt die Ministerin fest, "sogar Marokko hat 14 weibliche Minister und wir haben bloss zwei." Meine Frage: Was genau ist daran erstaunlich - 14 Ministerinnen in Marokko oder zwei in Israel? Oder anders gefragt: Welches Bild der arabischen Welt hat Frau Ministerin im Kopf?
Die Menschenrechts-Organisatio n Huma [...]