Herr Kollege: Yves Kugelmann, tachles, Zürich
Yves, Du wirst in der Haaretz hart angegangen: Diaspora- Juden, die bloss Mängel suchten, würden nichts zum Dialog innerhalb des Judentums beitragen – bist Du ein Gegner des Dialogs?
Seit rund fünfzehn Jahren bin ich einer jener, der im Rahmen der unabhängigen jüdischen Presse den Dialog, die Debatte, den Diskurs, die Diskussion, den Dialog nach allen Seiten zu führen versucht. Ich bin ein Befürworter des Dialogs und unterscheide nicht zwischen Jüdinnen und Juden in oder ausserhalb Israels, aber sehr klar zwischen solchen, die demokratisch rechtsstaatliche Prinzipien hoch halten, und jenen, die dies nicht tun. Zu letzteren gehören die Siedler - die nicht mit all jenen gleichzusetzen sind, die in Siedlungen leben.
Du sprichst die Siedler- Ideologie an?
Die einzigen realexistierenden Diaspora-Juden sind letztlich die Siedler selbst. Sie haben sich von Israel in sicheren Grenzen und von der jüdischen Gemeinschaft weltweit verabschiedet, führen einen aussichtslosen Kampf, und bewegen sich ausserhalb jeder Rechts- oder moralischen Norm. Dies benenne ich deshalb, weil Israel neben den äusseren eben auch innere Feinde hat.
Haaretz- Kolumnist Israel Harel meint im Gegenzug, womöglich würdest Du Dich durch Deine Kritik vom Staate Israel zu distanzieren versuchen.
Demagogie und suggestive Unterstellungen ersetzen die offene Frage nicht. Israel Harel hat mich nie dazu befragt, und hätte er seriös recherchiert, unsere Produkte oder auch meine Texte konsultiert, dann hätte er auch ohne grossen Sachverstand zu einer richtigen Interpretation gelangen können. Doch letztlich geht’s ja gar nicht darum, sondern um die Logik Harels: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns". Da werden Jüdinnen und Juden ausserhalb Israels schnell mal als Selbsthasser, Antizionisten, jüdische Antisemiten deklariert.
Hm, einen Anti- Semiten kann man Dich beim besten Willen nicht nennen…
…ich versuche, mich mit Kritik der amtierenden Regierung Israels - und eben nicht am Staate Israel - insofern anzunähern, dass ich für Israel die gleichen Masstäbe in Bezug auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ansetze wie bei jeder anderen Demokratie. Alles andere wäre eine positive oder negative Ausgrenzung Israels. Mit meiner positiven und negativen Kritik distanziere ich mich also keinesfalls von Israel, sondern von Antidemokraten, Fundamentalisten und Siedlern.
Ein Wort zum Autor des Angriffs: Israel Harel ist ein Vertreter der Siedlerbewegung. Seit wann bist Du diesen Leuten ein Dorn im Auge?
Die Essenz meines Texte war, dass Israel und seine Bürgerinnen und Bürger eine Verfassung verdient hätten. Eine, wie sie gerade Juden in ihren Grundrechten etwa hier in Europa schützt. Wer das mit dem Vorwurf des Antiisraelismus zu parieren versucht, zeigt, wes Ungeistes Kinder ist. Und deshalb ist auch klar: Die Siedlerbewegung in Allianz mit fundamentalistischen christlichen Bewegungen und einigen wenigen potenten jüdischen Exponenten ausserhalb Israels nehmen sich immer wieder mal den einen oder anderen ins Visier. Für uns ist dies nicht neu und in der Vergangenheit war dies oft heftiger.
Als Chefredaktor der jüdischen Wochenzeitung „tachles“ bist Du exponiert; wie reagierst Du auf Kritik an Euren Medien-Produkten?
Kritik nehme ich ernst, Verschwörungstheorien ignoriere ich. Wenn ein Siedler mit der Selbsthassermasche auf Stimmenfang geht, dann ist das keine Kritik, sondern die Selbstentlarvung eines Mannes, der vielleicht die aktuelle israelische Regierung, sicherlich aber nicht Israel und seine Bürgerinnen und Bürger liebt oder ernst nimmt. Denn diese sind nach wie vor in grosser Mehrheit für die Aufgabe der Siedlungen. Wer mit Sachkritik an uns gelangt, ist demgegenüber willkommen. Denn gerade diese Dialektik ist eine urjüdische Tradition, die letztlich Stärke und Fortschritt bedeutete.
Die Kritik an den Kritikern der israelischen Politik wird in meiner Wahrnehmung immer unflätiger und kaum noch argumentativ geführt. Teilst Du diese Erfahrung?
Die aktuellen Beispiele in Sachen Noemi Hazan und dem New Israel Fund oder Richter Goldstone mit dem UN- Untersuchungsbericht zum Gaza- Krieg zeigen dies. Die Kritik an den Kritikern der Kritik wird allerdings in den letzten Jahren zunehmend grösser, und längst verschieben sich die Kräfte in eine neue Richtung. Israel muss aufpassen, dass es die Jüdinnen und Juden ausserhalb Israels nicht zusehends als Partner und Solidaritätsgemeinschaft verliert.
Wie erklärst Du Dir denn, dass es zu den von Dir genannten Ausdrücken wie „Self-hating-Jew“ gekommen ist; Ausdrücke, nicht zwingend für Toleranz und Respekt sprechen?
Argumentationsnotstand. Heute wird die vermeintlich aber bitternötige Debatte mit der Brechzange geführt und den einen Selbsthass, den anderen Antisemitismus und immer wieder die Schoa- Argumentation um die Ohren gehauen. Dadurch wird die wichtige Diskussion zur Sache selbst verhindert.
Das heisst also, der Graben zwischen Diaspora – Juden und in Israel lebende Juden vertieft sich, je radikaler die israelische Politik wird?
An den Polen mag dies stimmen und vielleicht aktuell aufgrund der Tatsache, dass Amerikas Juden zu 80 Prozent hinter US-Präsident Obama und seiner Nahostpolitik stehen, während in Israel die Ablehnung immer grösser wird.
Wie steht es denn nun wirklich um den Staate Israel, um die Zukunft des Landes, aus Deiner Optik?
Land, Staat, Nation sind stark, die politische Elite ist desaströs, die Koalitionsmechanismen blockierend und die Siedler konfliktverlängernd.
Yves, was wird Dich in den nächsten Wochen journalistisch beschäftigen?
Selbstverständlich die Fussballweltmeisterschaft, die politische Situation etwa in Ungarn oder Öesterreich oder in der Schweiz aktuell die Ausschaffungsinitiative und viele lokale aktuelle Ereignisse.
Die Menschenrechts-Organisatio n Huma [...]