Herr Kollege: Clemens Verenkotte, ARD Radio, Tel Aviv
Clemens, zwei israelischen Journalisten drohen lange Gefängnis-Strafen wegen Geheimnisverrats. War das ein Thema für die ARD- Radio-Sender?
Natürlich war und ist das für uns ein Thema und wir haben gleich nach der Aufhebung der Nachrichtensperre darüber berichtet. Man konnte man ja schon Tage vor dem Donnerstag der letzten Woche die Geschichte in Auslandsmedien verfolgen. Allerdings war, so weit ich das von hier abschätzen kann, das Interesse an der Kam/Blau/Ha'aretz/Shin Bet-Geschichte bei den Sendern eher gering. Erst als es in Deutschland in einigen der großen Zeitungen stand, gab es Rückmeldungen. Redaktionen riefen dann an und fanden die Geschichte plötzlich recht spannend. Das passiert uns aber auch mit anderen Themen so.
Israels Medien prügeln übers Mass auf die beiden Kollegen ein, sprechen von einer „Spion- Soldatin“, Politiker fordern zum Boykott von Haaretz auf. Kannst Du das nachvollziehen?
Es wäre für mich verwunderlich gewesen, wenn die hiesigen Medien und ein Großteil der organisierten Politik nicht auf die Ha'aretz, auf Uri Blau und Anat Kam so geschlossen losgegangen wären. Das wäre einmal eine Ausnahme gewesen. Nein, für mich spiegelt sich in den Reaktionen sehr viel an israelischer Medien- und Politikrealität wider: Die wenigen investigativ recherchierenden Kollegen, zu denen Blau seit einiger Zeit gehört, sind hierzulande weiße Raben, die von einigen wenigen Chefs/Verlegern noch gehalten werden, ungern, aber sie zieren halt. In dem Augenblick, in dem es um "sicherheitsrelevante Themen" geht, um Internas aus der IDF, um mutmaßlich "streng geheimes" Material, stehen Autor und Zeitung sehr, sehr schnell sehr, sehr einsam in der Landschaft. Dass man mehr als ein halbes Jahr nach der Blau-Geschichte "License to kill" in der Ha'aretz-Wochenend-Ausgabe Ende 2008, dessen Text vom Militärzensor gelesen und genehmigt worden ist, gegen Anat Kam und Blau vorgeht, hat die Intention, die Anzahl der "weißen Raben" deutlich zu verringern.
Du bist seit vier Jahren in Tel Aviv stationiert, also ein erfahrener Korrespondent. Wie würdest Du Deine bisherigen beruflichen Erfahrungen zusammenfassen?
Es sind, so widersprüchlich das auch klingen mag, sehr schöne, bereichernde, anstrengende, belastende Jahre, die ich hier bislang verlebt habe. Schön und bereichernd wegen der unzähligen, persönlichen Begegnungen mit ganz normalen Leuten, nicht mit Politikern oder Funktionären. Das finde ich unverändert eine der ganz großen Vorteile im Ausland, aber es trifft vor allem auf dieses Berichtsgebiet zu. Als ich kam, im April 2006, hatte die Hamas gerade gewonnen, Olmert war frisch gewählt worden und die ersten Boykottmassnahmen gegen Gaza waren bereits verhängt worden. Als ich die ersten Geschichten aus Gaza machte und Ladenbesitzer erzählten, dass sie die Blockade vielleicht maximal drei, vier Monate aushalten würde, hätte ich mir trotz aller Skepsis nicht vorstellen können, dass aus den drei, vier Monaten drei, vier Jahre werden könnten und dass kein Ende abzusehen ist.
Anstrengend und belastend sind nicht so sehr die physischen Sachen, die einem beim "Rundreisen" durch aufgeteilte Berichtsgebiet abverlangt werden, als die psychischen Eindrücke, die ich gesammelt habe. Die journalistische Begleitung von zwei Kriegen und einer zementierten palästinensischen Spaltung einerseits sowie einem beständig breiter werdenden israelischen Mainstream der politischen Rechten andererseits hat schon ziemlich Kraft gekostet.
Ist eigentlich das Interesse der Redaktionen an Israel – Palästina – Themen in den letzten Jahren konstant geblieben?
Ja, da kann ich nicht klagen. Natürlich verläuft unsere gesamter Nachrichtenfluss, nicht nur hier, immer zyklisch, mit Wochen, in denen unglaublich viel zu tun ist, und ruhigeren Zeiten. Ich habe in den vier Jahren hier von keinen Einbrüchen des Interesses an Israel/Palästina zu berichten.
Deine Zuhörer sitzen in Deutschland. Schränkt Dich die deutsche Geschichte in irgendeiner Weise ein in Deiner Arbeit?
Nein, zero. Auch bei längerem Nachdenken könnte ich Dir kein Beispiel dafür nennen. - Doch, ein Beispiel fällt mir ein: Vor einigen Jahren hatte ich mal über antisemitische Schmierereien in einer Synagoge in Petach Tikwa berichtet, mich mit einigen der Gemeindemitglieder unterhalten, in Jerusalem mit einem Orthodoxen gesprochen, der seit 1990 chronologisch alle israelischen Zeitungsberichte sammelte, in denen es um rechtsextreme und/oder antisemitische Vorfälle in Israel ging. Ich schrieb die Geschichte, der Beitrag lief in den ARD-Radioprogrammen - und ein, zweiKollegen riefen mich anschließend aus Deutschland an und sie waren irgendwie unangenehm berührt. Dass es sowas hier gebe, das sei ja nun wirklich merkwürdig.
Soll denn ein deutscher Journalist genau so über Israel berichten, wie – sagen wir – über die EU oder etwa die US- Politik?
Selbstverständlich, sonst sollte er umgehend die Koffer packen und wieder gehen. Es gilt das Motto, nicht allein für dieses Berichtsgebiet: Man muss bei der Berichterstattung überden brandenburgischen Landtag etwa genau den gleichen journalistischen Kriterien folgen wie bei der Berichterstattung hier.
Also thematisierst Du zum Beispiel die Annexion Ost- Jerusalems, den kontinuierlichen israelischen Siedlungsbau im besetzten Westjordanland als zentrales Hindernis für eine Annäherung der Konfliktparteien - auch wenn die deutsche Regierung eine, sagen wir mal Israel durchaus eng verbundene Politik betreibt?
Sicher, das sind alles Themen, die wir machen. Eben bin ich mit einer längeren Sendung über den Siedlungsbau in Ost-Jerusalem fertig geworden. Nochmals: Die Vorstellung, dass es eine Wechselwirkung zwischen der Nahost-Politik der Bundesregierungen und der Berichterstattung deutscher Korrespondenten aus Israel/Palästina gäbe, löst bei mir einfach nur Kopfschütteln aus. Nein, es kommt alles auf den Tisch, wem was dabei schmeckt, ist dann ausschließlich deren/dessen Angelegenheit.
Das scheinen einige in Europa etwas anders zu sehen: Zuhörer- respektive Zuschauer reagieren im immer wieder mal, als ob jeder Korrespondenten-Bericht ihre Existenz bedrohen würde. Wie handhabst Du die teils überaus rabiaten Zuhörer- Reaktionen?
Es kommt darauf an: Inhaltliche Kritik ist stets willkommen und darauf reagiere ich auch, das ist eh' selbstverständlich. Bei Schmähbriefen gucke ich meistens nicht hin, allenfalls, wenn ich feststellen möchte, auf welches intellektuelle Niveau sich der Absender herabzubegeben vermochte. Dann gibt es die Rabiaten, die gemäß der Grundregeln "Wie schreibe ich einen erfolgreichen Leserbrief" operieren und in ihren Email-Verteiler alle mit Ausnahme der Bundeskanzlerin aufnehmen und natürlich auf einer Antwort insistieren. - Allerdings, ich weiß nicht, ob mich das beglücken oder bekümmern müsste: Ich bekomme ich relativ wenige solcher rabiaten Briefe.
Hat sich der Journalist Clemens Verenkotte in diesen Jahren im Nahen Osten eigentlich verändert?
Ich hoffe nicht - glücklicherweise habe ich einige gute Freunde, die in Deutschland Radio hören und mir Bescheid sagen würden, wenn ich mich als Journalist verändern hätte. Eines ist vielleicht "schlimmer" geworden: Ich spreche meine Nachrichtenminuten nach den Jahren hier noch ein wenig zügiger als zuvor, weil ich dann das Gefühl habe, ich könnte mehr Informationen in die Minute hineinpressen.
Clemens, was wird Dich in den nächsten Wochen journalistisch beschäftigen?
Am Donnerstag fahre ich wieder nach Gaza und will mich, nach vierwöchiger Pause, dort in Ruhe umsehen. Dann will ich der Frage nachgehen, warum die Hälfte der israelischen Oberklassenschüler laut einer Ha'aretz-Umfrage der Meinung sind, dass arabische Israelis nicht die gleichen politischen Rechte haben sollten wie sie.