Stell dir vor es ist Krieg, und einer geht auch nach zwei Wochen noch hin
Erinnern Sie sich an „Hamburger-Hill“, diesen Film über Hügel 937, den die Amerikaner im Vietnam-Krieg immer und immer wieder einzunehmen versuchten? In Israel ist’s ein Kriegsdenkmal, weisse Marmorsäulen auf einer kleinen Anhöhe, rund zwei Kilometer von der Grenze zum Gaza-Streifen entfernt gelegen - eingenommen von Medien-Soldaten. Geschätzte hundert TV-Journalisten und Fotografen, unterstützt von Dutzenden Satelittenschüsseln, belagern den Journalisten-Hügel. Alle beim “Gaza-Shooting”. So nennt sich das in der Fernsehsprache, gefilmt und fotografiert wird Richtung Gaza.
CNN steht friedlich neben Al Jazeera International, daneben Antena3 aus Spanien, weiter oben die Holländer, Italiener und Deutschen, etwas entfernt der unüberhörbare Herr von Fox News. Er ist laut, in Ton und Inhalt. So kann dann schon mal von den „palestinian Terrorists“ die Rede sein, als ob einer der PR-Soldaten das Mikrofon in der Hand halten würde – shooting towards Gaza. Suchen Sie ein Pendant zu den Teils rüden Berichten arabischer Stationen über diesen Krieg, mit Fox sitzen Sie in der ersten Reihe, sozusagen.
Ein Australier putzt dann irgendwann den Müll weg auf dem Journalisten-Hügel; die haben’s dort unten offensichtlich etwas mehr mit dem Umweltschutz als die Kollegen von Fox. Deren Star-Reporter schaut sichtlich irritiert zu, dreht sich ab, Richtung Gaza.
Aber immerhin zieht er sich keine kugelsichere Schussweste an. Das überlässt er nebst anderen dem Kollegen von der italienischen RAI. Ein paar Minuten vor der Live-Schalte muss die blaue, zehn Kilo schwere Weste mit dem leuchtenden PRESS – Schildchen her; sieht ja irgendwie gefährlicher aus, gell. Noch im Libanon-Krieg im Sommer 2006 war caro collega im Armani-Anzug und Krawatte an die Front gekommen – die Zeiten ändern sich.
Wobei der Korrespondent dieses Mal ziemlich mit seiner Zentrale in Roma zu kämpfen hat: Die haben ihm nämlich eine fitte Kollegin aus Italien zu Verstärkung geschickt, die sich auch noch erdreistet, in einer Medienkonferenz Israels Aussenministerin Tzipi Livni eine Frage nach der Verhältnissmässigkeit der israelischen Luftangriffe zu stellen – das schätzt ein Bureau Chief gar nicht. Das jemand anderes an einer Medienkonferenz für Furore sorgt, meine ich.
Tzipi Livni ihrerseits bemüht sich leidlich, Israels Krieg zu erklären. Pusserl hier, Pusserl da – die EU-Troika, Monsieur Sarkozy, zwei Kommissare aus dem fernen Brüssel, alle sprechen sie freundlich vor bei Livni. Nun muss man wissen, dass der aktuelle tschechische Botschafter zu Israel schon für einiges diplomatisches Kopfschütteln gesorgt hat ob seiner schier grenzenlosen Bewunderung für sein Gastland. So ist zu erklären, dass er zu Kriegsbeginn wohl etwas voreilig nach Prag geflüstert haben dürfte, es handle sich bei der israelischen Gaza-Offensive um einen “defensiven“ und nicht einen „offensiven“ Krieg. Dass Prag sich dann hurtig zu entschuldigen hatte, mochte der Medienzirkus nicht mehr so richtig mit Nachdruck den fernen Zentral-Redaktionen vermitteln. Solche Details interessieren in einem Krieg nicht.
Nun muss man wissen, dass zwischen Korrespondenten draussen und Redaktoren drinnen eine Art "eifersüchtiges Begleiten" herrschen kann, wie das ein erfahrener Kollege beschreibt. Die in den geheizten Büros haben ganz spezielle Sorgen, sagen einige Draussen. Die Draussen sind keine Einfachen, heisst’s Drinnen. Gesegnet, wer eine fixe und aufmerksame Begleiterin hat, die "heilige Barbara der Auslands-Korrespondenten" in der Redaktion, sozusagen.
Aber manche verstehen sich gar nicht, drinnen und draussen: Einen deutschen Kollegen etwa trifft's besonders schwer mit seinem Sender in Berlin, Köln oder München, Hamburg oder Mainz – wer will das schon so genau wissen. Die Redaktion will Bilder von Soldaten sehen, Uniformen müssen her. Nur: an die Soldaten kommt selbst das israelische Fernsehen kaum ran. Und noch viel blöder, wenn just dann die Qassam-Raketen der extremistischen Kämpfer in der Nähe einschlagen, während der Journalist dem Nachrichtenchef im fernen Deutschland was von zivilen Opfern des Krieges im Gaza-Streifen vermitteln will; die Raketen entkräften irgendwie die Argumente des Reporters für den Blick aufs Wesentliche.
Da sei doch die Standup-Position weit ab von der Medienhorde gelobt: Neben mir ein israelischer Kollege, etwas weiter entfernt steht der Mann von Al Jazeera. Am dritten Kriegstag bucht mein Sender offenbar eine Sattelitenleitung just zu jener Zeit, als er live drauf sein sollte; er war dann nicht drauf, ich schon. Seither spricht „Al Jazeera“ kein Wort mehr mit „Swiss TV“. Es herrscht Krieg, auch im Mediendschungel.

Ach’ übrigens: was wir Journalisten „an der Front“ Konkretes wissen über den Kriegsverlauf, über die Opferzahlen, über die „diplomatischen Bemühungen“? Kaum etwas. Wir sind einem einmaligen Propaganda-Konzert ausgesetzt – immer wieder erstaunlich, wie viele Spokesperson’s so ein Krieg kreieren kann. Am Journalistenhügel stehen sie täglich bereit, brauchst bloss dein Mikrophon hinzuhalten, Armee, Verteidigungs- und Aussenministerium, ehemalige Botschafter, Uni-Professoren, Government Press Office, Lobby-Organisationen wie The Israel Project, Zivilisten, religiöse Gruppierungen. Kannst sie in deutscher, russischer, spanischer, englischer, französischer Sprache haben – hebräisch spricht eh’ kaum einer der Journalisten. Und von der Hamas-Front gibt’s ab und an ein paar Einspieltapes purer Verlautbarungs-Propaganda, Interviews sind höchstens mit Vertretern in Beirut möglich.
Vom eigentlichen Kriegsgeschehen sind wir in diesem Krieg praktisch komplett ausgeschlossen: Nicht erst seit Kriegsausbruch, sondern seit Wochen verweigert das israelische Verteidigungsministern ausländischen Journalisten den Zugang zum Gaza-Streifen. Verifizieren, unabhängiges Berichten ist damit praktisch unmöglich. Da weite Teile des Telefonnetzes im Gaza-Streifen zerbombt sind, kann von draussen nicht einmal mehr mit den palästinensischen Kollegen drinnen, mit den Rotkreuz-Leuten vor Ort gesprochen werden. Informations-Stau.
Am 11. Kriegstag abends klingelt’s dann doch, eine 059er Handy-Nummer, also eine palästinensische Nummer: „Hello André, I’m still alive“. Mohammad, mein Kollege aus Gaza, meldet sich von den Toten. „I’m still alive“ aus Gaza zu hören, haut mich fast um. Tagelang gab’s keinen Kontakt, weder zu Mohammad noch zu Tamer dem Kameramann, mit denen ich normalerweise in Gaza zusammen arbeite. Nichts ist normal im Krieg, „it’s war André, nobody is nowhere save here“, sagt Mohammad, bevor die Leitung zusammenbricht. Er muss es wissen, er hat Bagdad überlebt, und versucht’s nun in Gaza. Mo, keep going, denk’ ich im Stillen, verschlucke ein schüchternes „take care“.
Am 13. Kriegstag gerät die Medienkarawane kurzzeitig ausser Kontrolle, als Katjusa – Raketen aus dem Libanon kommend in Nordisrael einschlagen: Selbst der distinguierte Herr von der ehrwürdigen BBC bringt die Dinge etwas durcheinander, spricht von Raketenbeschuss im Süden des nördlich gelegenen Nachbarlandes Libanon. Bei der Nachrichtenagentur AP gerät die Hamas zur Hesbollah-Miliz – der Druck, das Tempo fordern ihren Preis. Und so reift wieder einmal die bittere Erkenntnis, dass 1’40 selten reichen, die Dinge in einen Kontext zu stellen. Eine Minute, vierzig Sekunden, um über Tod, Politik und diplomatisches Versagen zu sprechen – und das bitte fliessend gesprochen, neutral und ausgewogen formuliert.
Irgendwann legst du dich dann halt ins neben dem Bunker parkierte Auto, und schläfst den ungerechten Schlaf des uninformierten Korrespondenten. Du hörst die Apache-Kampfhelikopter wie die Geier über dir kreisen, immer zu zweit in der Luft. Du hörst die Detonationen der entfernt einschlagenden Bomben, siehst schwarze Rauchwolken aufsteigen, kannst selbst im Schlaf zwischen „outgoing“ und „incoming“ unterscheiden: du lernst, aus dem Gaza-Streifen abgefeuerte Raketen und in den Gaza-Streifen hineingefeuerte Artillerie auseinander zu halten. Du schläfst, während keine zwei Kilometer von dir entfernt die Menschen sterben.
Und so schält sich dann doch etwas der eingeflogene Berichterstatter-Tross von den stationierten Korrespondenten. Etwa bei der Mitteilung, mit Nizzan Rayyan sei ein hochrangiger Hamas-Führer getötet worden, kann der Middle East Correspondent zwischen militärischem Wunschdenken und Realität differenzieren; kurzzeitig berühmt im Tod, dieser Nizzan Rayyan, von dem kein Mensch ausserhalb des Militär-Establishments zuvor je etwas gehört hat. Die Erfahrung mit dem Tod zahlt sich wenigstens manchmal aus.
Die Jahre vor Ort bieten auch ein sehr praktisches Privileg: zwischendurch zieht’s mich nachts für ein paar Stunden nach Hause zu Frau und Kind in Tel Aviv. Mein Kameramann beharrt auf der Fahrt darauf, seine mitgebrachte CD zu hören – Spiel mir das Lied vom Tod. Eine deutsche Kollegin fährt im Höllentempo ins Hotel und beschallt sich mit Vivaldi - damit sie nicht laut weinen müsse. Alle haben wir unsere Mechanismen, wie wir mit dem Schrecken zurande kommen. Alle wissen wir, dass ein anderer nach Hause kommt als jener, der in den Krieg gezogen ist.
Stell dir vor es ist Krieg – und einer geht auch nach zwei Wochen noch hin.
Samstag, 10. Januar 2009 um 11:14 >> antworten
sinnieren, darüber dasss manch ein blatt in unserem lande die recovery eines deutschen politikers, nach seinem ski unfall vorzieht, es können ja nicht nur schlechtmeldungen aus gaza kommen, das wäre ja langweilig. homogenes zeitungsbild und so. wie dem auch sei. die herren auf dem hamburger hill stehen sich die füsse platt, kein weg nach gaza, keine möglichkeit "verlässliche" daten aus dem innern zu generieren...in dem tempo wird früher oder später die allgemeine interessenlosigkeit in europa und dem rest der welt folgen, vielleicht spekuliert der bureau chief darauf. um später unverminderter dinge an dem genozid weiterzufeilen, ohne aufsehen diesmal bitteschön...who knows. Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. hoffe mohammed und co, sowie die leuten aus gaza schaffen und überleben es, wirklich.
aber was ist danach? das problem werden die bomben nicht gelöst haben....
Samstag, 10. Januar 2009 um 11:38 >> antworten
Man denkt beim Betrachten dieser Bilder nicht daran, dass zwischen Motiv und Betrachter noch ein weiterer Mensch steht. Der ganz schön kaltschnäuzig sein muss, um Elend und Not fotografieren zu können. Braucht es das denn wirklich? Ist die Macht der Bilder so stark? Sind Bilder eine neue Waffe in der modernen Kriegsführung?
Samstag, 10. Januar 2009 um 12:38 >> antworten
Montag, 12. Januar 2009 um 10:45 >> antworten
Montag, 12. Januar 2009 um 14:14 >> antworten
Montag, 12. Januar 2009 um 18:48 >> antworten
Montag, 12. Januar 2009 um 19:39 >> antworten
Dienstag, 13. Januar 2009 um 08:14 >> antworten
Sie sollten eine längere Doku produzieren,um Ihre Arbeit vor Ort zu zeigen und vielleicht noch ein Buch schreiben mit Ihren Erfahrungen.Irgendwann vielleicht ,um der Welt die Dinge zu schildern die Sie gehört und erfahren haben,um der Propaganda entgegenzuwirken.
weiter so,Grüße aus Berlin
Freitag, 16. Januar 2009 um 11:25 >> antworten
Weiter so und ehm ... take care
Freitag, 16. Januar 2009 um 20:44 >> antworten