Vom Rapportieren unter Dauerbeschuss
Kollege Nidal Al-Mughrabi von der Nachrichtenagentur Reuters beschreibt seine Arbeit in Gaza-City:
"Unsere Fenster sind mit Isolierband beklebt. Die riesigen Kreuze quer über die Scheiben sollen verhindern, dass uns bei einem Bombeneinschlag in der Nähe das Glas um die Ohren fliegt. Aber neulich ist die grösste Scheibe in der Eingangshalle trotzdem zu Bruch gegangen. Immer wieder suchten wir in den vergangenen Tagen unter unseren Schreibtischen Deckung, wenn das Büro durch die Explosionen der Luftangriffe erschüttert wurde. Wir hören auch das Pfeifen der Raketen, die von der Stadt aus auf Israel abgefeuert werden. Seit zwei Wochen arbeiten wir praktisch unter Dauerbeschuss.

Die Stimmen werden lauter, die Aufregung der Kollegen ist zu hören, wenn sie für Reuters die neuesten Informationen über die Kämpfe per Funk übermitteln: "Ein Auto in Beit Lahijah wurde bombardiert", meldet ein Kollege aus dem Norden. "Drei Tote im Schifa-Krankenhaus eingetroffen", berichtet ein anderer aus der grössten Klinik. "Mehrere Verletzte nach israelischem Luftangriff auf die Tunnel", ruft ein dritter, der im Süden nahe der Grenze zu Ägypten arbeitet. Rund ein Dutzend Mitarbeiter berichten für Reuters aus dem Gazastreifen, wo in den vergangenen Wochen praktisch kein Ort von Angriffen verschont geblieben ist.
Es seien keine westlichen Journalisten mehr im Gazastreifen, beschweren sich immer wieder einige Leute. Aber wir sitzen hier mitten in Gaza-Stadt, meistens etwa zehn Kollegen, jeden Tag ab neun Uhr im Reuters-Büro. Es ist in einem Hochhaus untergebracht, von dem aus ein Stück westlich das Mittelmeer zu sehen ist. Auf der anderen Seite sind die israelischen Truppen höchstens noch einen Kilometer entfernt.
Doch trotz einer festinstallierten Kamera am Fenster filmen unsere Teams kaum noch von hier: Ein Kameraobjektiv kann leicht für eine Waffe gehalten werden. Ein solches Missverständnis galt auch als Erklärung, als hier vor neun Monaten unser Kollege Fadel Shana im Feuer eines israelischen Panzers starb.
Als kürzlich ein Ziel nur rund 200 Meter von unserem Büro entfernt beschossen wurde, durchbrach ein Schrapnell eine unserer Wände und liess einen Teil der Decke bersten. Zum Glück blieben alle unverletzt. Doch das Zentrum der Stadt ist schon oft beschossen worden, und unterwegs ist das Risiko für die Journalisten noch grösser: Unsere Crews dürfen nur in die grossen Krankenhäuser und dorthin, wo es zu schweren Explosionen mit vielen Toten kam. Alles andere wäre zu gefährlich. Seit Beginn der Offensive starben immerhin schon vier Journalisten.
"Passt bitte auf", sagte ich unseren Teams bestimmt 30-mal am Tag. An die Überlebensstrategien auf der Strasse erinnern wir uns gegenseitig immer wieder: "Keine grossen Strassen ausserhalb der Stadt, nicht am Haus eines Hamas-Führers vorbei, nicht zu nah an einer Moschee entlang und auch nicht an einer Polizeiwache - selbst wenn sie schon einmal bombardiert wurde." Diese Liste gehe ich im Kopf regelmässig durch. Einige Gegenden wurden bombardiert, einfach weil ein Hamas-Polizist vorbeiging. Der folgende Angriff kann verheerend sein - auch für Passanten.
Aus Sicherheitsgründen bleiben wir nachts nicht im Büro. Dann übernehmen die Kollegen in Jerusalem die Berichterstattung, die eine Live-Kameraverbindung haben. Sie sehen den Rauch und die Flammen und können so etwas von der Atmosphäre einfangen. Wir gehen nach Hause zu unseren Familien.
Mein Sohn und meine Tochter halten sich meist die Ohren zu, wenn die Explosionen beginnen. Das ganze Gebäude bebt durch die Erschütterungen. Vor drei Tagen wurden in einem Nachbarhaus ein anderer Journalist, seine Frau und Schwiegermutter bei einem Raketenangriff getötet. Am Samstag erreichten dann israelische Panzer unser Viertel und wir sahen ein paar Guerilla-Kämpfer vor unserer Tür. Am Sonntag, dem 16. Tag des Kriegs, haben wir beschlossen, zu Verwandten zu ziehen. Sie wohnen im dichter besiedelten Zentrum und wir offen, dass es etwas sicherer ist.
Aber wirklich sicher fühlt man sich nirgendwo."
Besten Dank für die Hartnäckigkeit und die Kreativität, die wohl notwendig sind, um überhaupt über etwas authentisch berichten zu können.
Dienstag, 13. Januar 2009 um 01:28 >> antworten
Dienstag, 13. Januar 2009 um 09:32 >> antworten
Dienstag, 13. Januar 2009 um 19:57 >> antworten
Thank you, Mr. Nidal Al-Mughrabi.
Dienstag, 13. Januar 2009 um 22:13 >> antworten
http://www.basicthinking.de/blog/2009/01/13/mixtur/
Dienstag, 13. Januar 2009 um 23:47 >> antworten
Donnerstag, 15. Januar 2009 um 00:04 >> antworten