Der Schweizer neue Freunde

Mittwoch, 02. Dezember 2009

Kommentare
Richard:
Akzeptiert doch bitte mal alle das Resultat: es ist der legitime Ausdruck eines mehrheitlichen Teils des Schweizer Stimmvolkes, das weder dumm noch blöd noch sonstirgendwie besonders rückständig ist. Wo ist das Problem? Soll der Schweizer Stimmbürger etwa anders stimmen als er eigentlich will, nur weil ein paar rechtsgerichtete Kreise dann vielleicht applaudieren könnten oder ein französischer Minister (das in Frankreich mit einer sehr elitären Geisteshaltung der sogenannten Eliten in Politik und Wirtschaft) findet, über solche Dinge dürfe man nicht das Volk entscheiden lassen? Kurz: Ja, selber verantwortlich, gottseidank oder von mir aus gesehen auch allahseidank!

Mittwoch, 2. Dezember 2009 um 09:28 >> antworten

wo steht denn bitte, dass andré marty den entscheid nicht akzeptiert? kann man denn nach erfolgter abstimmung keine kritik daran äussern?

so wie ich den beitrag interpretiere, ist es auch nicht so, dass man wegen dieser "neuen freunde" etwas anderes auf den zettel hätte schreiben sollen. dafür (also für ein nein) gab's ja genügend rationale gründe.

Mittwoch, 2. Dezember 2009 um 13:29 >> antworten

eva pauli:
nein, eben nicht: unser feind ist nicht euer feind; die dinge sind wohl komplexer.es ist wie mit farben und licht - es kommt auf den kontext an.
niemand ist hier unterdrückt ohne minarett und alle muslime dort sind gewaltig/gewaltsam unterdrückt, mitsamt minaretten.
wie wäre es doch, wen israel ein gleichberechtigter staat aller seiner einwohner wäre?
schauen wir dann das thema an.

Mittwoch, 2. Dezember 2009 um 15:24 >> antworten

andré s.:
@ Richard:

"es ist der legitime Ausdruck eines mehrheitlichen Teils des Schweizer
Stimmvolkes,..."

Das ist offensichtlich falsch! Wenn nur knapp 54% der wahlBERECHTIGTEN sich zur urne begeben und von diesen gerade mal gut die hälfte gegen minarette
stimmt sind das bestenfalls gut 25 % des "stimmvolkes" und mitnichten eine mehrheit.

Ich kann auch nicht ganz nachvollziehen wo die entscheidung der schweizer von andré marty nicht akzeptiert wurde. Er weißt-zu recht- nur darauf hin, welche rechtsaussengruppen sogleich gierig auf diese geschichte angesprungen
sind.


Mit der auf die entscheidung folgenden Kritik müssen die schweizer leben, so wie sie damit leben müssen, dass ihre "entscheidung" über elementare grund- bzw. menschenrechte abstimmen zu lassen, jetzt nicht folgenlos bleibt. Ich zitiere mal aus dem spiegel-artikel "Die Schweiz wählt die Islam-Angst":

...Das Votum wird zweifellos das Bild der Schweiz in der Welt verändern. Das Land, das sich gerne als neutrale Hüterin der Menschenrechte sieht, das Land, in dem das Rote Kreuz gegründet wurde und die Genfer Konvention beschlossen wurde - dieses vermeintliche demokratische Musterland missachtet
das Menschenrecht der freien Religionsausübung und diskriminiert eine einzelne Religionsgruppe, die Muslime.


Das Verbot wird folgenschwere Auswirkungen haben - es wird nicht die Integrationsprobleme in der Schweiz beseitigen, aber es wird die Schweiz international vor große Probleme stellen.


Die Schweizer Banken und die Schweizer Wirtschaft, die mit der ganzen Welt, auch mit der arabischen Welt, eng verflochten sind, werden darunter zu leiden haben - und womöglich auch der Tourismus. Es wird die Schweiz für
muslimische Länder auch in ihrer Glaubwürdigkeit als Vermittlerin
beschädigen, sei es als diplomatische Vertreterin der USA in Iran oder im Konflikt zwischen Armenien und der Türkei. Und schließlich wird es das
Verhältnis der Schweizer zu ihren Muslimen massiv belasten - und erst recht jene Abkapselung vom Rest der Gesellschaft fördern, gegen die die Initiative angeblich gerichtet war.


Für die Schweiz ist das auch deswegen bedauerlich, weil sie im vergangenen Jahr schon viel von ihrer Strahlkraft verloren hat: Die großen Wirtschaftsmächte der Welt attackierten sie, weil sie Steuerflüchtlinge schützt, und die Regierung musste das mythische Bankgeheimnis in weiten Teilen opfern. ..."

Zitat ende

Ganz schön hoher preis für ein wenig peinliche symbolik, denn natürlich
werden moscheen inkl. minarett auch zukünftig in der schweiz gebaut.


Vielleicht ist ja die schweizer justiz clever genug den ja-sagern des
minarett-verbots selbst klar zu machen dass das angestrebte nationale recht (minarettverbot) schlicht nicht anwendbar ist auf grund der übergeordneten
stellung der menschenrechtskonvention. Liesse die schweiz ein wenig besser
dastehen....

Falls die schweizer justiz das verpennt, sorgt zum glück der europäische gerichtshof für menschenrechte ganz sicher dafür.

Nach meiner bescheidenen meinung sind übrigens kirchturmspitzen mit ihrem ständigen nervtötendem gebimmel ein mindestens gleichgroßes ärgernis wie ein
"stummes" minarett, derer es aktuell ganze vier (!) in der schweiz gibt.

Die religionsfreiheit anderer ist für mich aber ein grund jeder
glaubensgemeinschaft würdige begegnungsstätten zur ausübung ihres glaubens zuzubilligen. Selbst die ständigen lärmemmission durch das geläute nehme ich
als atheist billigend in kauf.


Schön im übrigen, dass nachdem der erste schock über das abstimmungsergebnis vorüber ist, sich zahlreiche schweizer demonstranten zu wort meldeten, denen die unsäglichkeit der geschichte sehr gegen den strich geht.

Mittwoch, 2. Dezember 2009 um 16:25 >> antworten

Richard:
Also ich entschuldige mich: ... wenn ich genau lese, hat André Marty wirklich nicht gesagt, er akzeptiere den Entscheid nicht. Da habt Ihr alle recht.

Zu den anderen Kommentaren nur dies: Das mit der Stimmbeteiligung von nur 54% und deshalb keine Mehrheit zählt natürlich nicht! Seit die demokratische Republik ist es Usus, dass die Stimmen zählen, die wirklich auch abgegeben werden. Zudem würde ich keinen Hehler drauf wetten, dass bei einer Beteiligung von 100% das Resultat anders ausgefallen wäre, im Gegenteil.

Auch beim Schaden auf internationaler Ebene wäre ich mir nicht so sicher: es gibt einen Haufen Leute international, und nicht nur "Rechte", die einen Volksentscheid über so Themen gar nicht so schlecht finden.

Satis, diskutieren wir hier wieder über Israel/Palästina, sonst wird André Marty noch nach Hause zurückversetzt, weil in der Schweiz heftiger diskutiert wird sprich journalistisch mehr drin liegt.

Mittwoch, 2. Dezember 2009 um 16:51 >> antworten

andré s.:
@ Richard:

ich gehe als erstes mal auf den letzten satz deines beitrages ein.

Eine zurückversetzung andré martys wäre sicher nicht in meinem sinne. Wer
könnte uns sonst derart informativ aus erster hand über den nicht enden
wollenden konflikt berichten und dabei facetten aufzeigen, die anderen ortes
unter den tisch fallen. Da sein blog zudem privater natur ist und andré
marty aktiv die beiträge freischaltet hat er zudem ein gutes steuerungsinstrument an der hand bevor es ihm zu viel wird.


Je länger ich mich mit der geschichte befasst habe, je mehr sehe ich sogar
interessante parallelen zwischen israelischen und schweizer reaktionen.

Nachdem sich die EU und die uno sich über das votum der schweizer kritisch äußerten und feststellten dass das nicht mit den allgemeinen menschenrechten kompatibel ist, dauerte es nicht lange, bis ich in den kommentarbereichen
diverser artikel schweizer medien auf meinungen traf, die die uno als gänzlich irrelevant bezeichnet haben und sich jedwede einmischung von außen in schweizer angelegenheiten verbaten. Das kenne ich aus diversen
kommentarbereichen von israelblogs regelmäßig. Der wesentliche unterschied
bei den schweizern ist, dass im gegensatz zu israel nicht politiker in erster reihe stehen, wenn die irrelevanz der UN betont wird. Die schweizer
politiker sehen den GAU (gau= grösster anzunehmender unfall) der entstanden
ist.
http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/buecher/Das-ist-wirklich-uebel/story/1804
7382

Ich bin gespannt, wie die schweiz dieses problem löst. Zumal der nächste GAU bereits im anmarsch ist nachdem die dose der pandorra erst geöffnet
wurde. Wie im tagesanzeiger berichtet will nun die CVP lt. ihrem chef darbellay die gunst der stunde nutzen und nachzulegen, indem sie ein
friedhofsverbot für juden und muslime einfordert. Und wo sie schon mal dabei sind darf natürlich auch ein kopftuchverbot nicht länger fehlen. Großes kino auch dass er nur 24 stunden später zurückrudert weil er ja angeblich nicht juden und muslime meinte sondern sich nur gegen friedhöfe für "kleine
sekten" meinte. Als Nichtschweizer würde mich da besonders interessieren welche kleinen sekten denn bislang ihre anhänger auf eigenen friedhöfen bestatten? Kann mich da wer aufklären?

siehe

http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Wenn-Darbellay-diese-Aussage-ge
macht-hat-ist-sie-bedenklich/story/25749029

und

http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Christophe-Darbellay-entschuldi
gt-sich/story/13701564


Zuerst wurden die minarette verboten, dann probiert man es mit friedhöfen und (da man die jüdischen mit den muslimischen in einem atemzug nannte folgt diesmal nach massivem protest der rückzieher. Parallel die "notbremse zuwanderung" vergl. nzz von heute, kommt als nächstes die wiedereinführung von folter oder todesstrafe? Grundrechtsbeschneidungen sind wie es scheint sehr en vogue, claqueure aus dem ultrarechten parteispektrum jubeln quer durch europa.

Quo vadis liebe schweiz. Ich mache mir sehr ernsthafte sorgen.

charles lewinsky hat zwei in meinen augen sehr sehr lesens- und überdenkenswerte artikel zum thema geschrieben.:

"Jetzt müssen wir sogar Köppels triumphierende Ironie schlucken
Von Charles Lewinsky.

Der Schweizer Schriftsteller Charles Lewinsky äussert sich in einem Essay
über das Minarettverbot, den ewigen Populismus und Roger Köppel.

http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/buecher/Jetzt-muessen-wir-sogar-Koeppels-
triumphierende-Ironie-schlucken/story/10202730

Dazu vertiefend ein interview mit ihm, das sich aufs essay bezieht:

"Das ist wirklich übel
Interview: Rico Bandle

Der Essay zum Minarett-Verbot von Charles Lewinsky auf
Tagesanzeiger.ch/Newsnetz hat eine Lawine von Reaktionen ausgelöst ­ vor
allem positive. Der Schriftsteller über politische Trittbrettfahrer und
Profiteure nach der Abstimmung.

http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/buecher/Das-ist-wirklich-uebel/story/1804
7382


Zusammenfassend ist die sache sehr einfach:

Die freie ausübung der religion ist ein menschenrecht. Dazu gehört für muslime das minarett genau so wenig wie der kirchturm für christen. Aber da den christen in der schweiz der bau von kirchtürmen weiterhin erlaubt ist, den muslimen der bau von minaretten aber nicht, werden schweizer muslime wie
nichtschweizer muslime in der schweiz diskriminiert. Christen und muslime dürfen in der schweiz ihre religion nicht im gleichen maße ausüben. Und da
beisst sich das ergebnis der volksabstimmung mit den menschenrechten.


Hätten die schweizer abgestimmt, dass sowohl kirchtürme als auch minarette
verboten sind, dann wäre alles OK unter juristischen aspekten. Der ist-zustand von 4 minaretten gegenüber hunderten oder tausenden kirchtürmen hätte sich festzementieren lassen. Das bauverbot für kirchtürme aber wollte vermutlich die religiös-konservative EDU nicht mitmachen. So gibt es eben
die in meinen augen berechtigte klatsche durch den europäischen gerichtshof
für menschenrechte.

Freitag, 4. Dezember 2009 um 13:50 >> antworten

Adrian:
Ich hab nicht schlecht gestaunt, als mir am Montag verschiedenste Leute auf den Rucken geklopft haben und mir zum Ausgang der Minarett-Abstimmung gratuliert haben: "Endlich tut sich in Europa etwas gegen die aufstrebenden Islamisten." Nur, als ich bald mal klarstellte, was es mit der Minarett-Initiative genau auf sich hatte, mussten alle ausnahmslos eingestehen, das dies gegen ihre Auffassung von Religionsfreiheit verstoesst.

Natuerlich kann man argumentieren, das ein demokratischer Entscheid zu akzeptieren ist. Nur sollte ein Volk seiner Linie treu bleiben. Wenn man einmal den Menschernrechten zugestimmt hat, sollte man sie nicht ein paar Jahre spaeter mit den Fuessen treten. Wie soll man zu einer Demokratie stehen, die ihre eigenen Entscheide mit Fuessen tritt?

Klar, es ging bei dieser Abstimmung um mehr als nur das verhindern einiger Minarette. Doch was wohl nur wenige verstanden haben ist, dass es auch darum ging, welche Rolle wir in der Welt spielen wollen und welcher Verantwortung wir dabei tragen.

Leider werden jedoch die Abstimmungskaempfe vermehrt populistisch gefuehrt und dabei werden oft Aengste geschuehrt. Nur, haetten wir uns von unseren Aengsten durch die Geschichte treiben lassen, dann haette es nie einen Ruetlischwur, einen Winkelried und eine Bundesverfassung gegeben.

Donnerstag, 3. Dezember 2009 um 20:34 >> antworten


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