Frau Kollegin: Esther Saoub, ARD Radio, Kairo
Esther, der deutsche Außenminister Guido Westerwelle nannte den ägyptischen Staatspräsidenten Husni Mubarak soeben «einen Mann von großer Weisheit», der die Zukunft fest im Blick habe. Nun, wie habe ich diese Aussage zu verstehen?
Ich würde eher sagen, er hat die Gegenwart fest in der Hand. Was er für die Zukunft anvisiert, ist mir dagegen nicht so klar. Ich will mal ein Bild versuchen: stell dir eine Bettdecke vor, unter der lauter kleine Kätzchen sitzen. Deine Aufgabe ist es, sie daran zu hindern, raus zu schlüpfen: mal hältst zu hier zu, dann wieder da, mal drückst du fester drauf, damit sie wieder ruhiger werden... du bist immer beschäftigt, hast deine Hände überall. Die Katzen bleiben drin. Allerdings wirst du kaum dazu kommen, die Decke neu zu beziehen, das Bett umzustellen oder gar das Zimmer zu streichen.
Kannst Du uns denn zumindest einen Hinweis geben, inwiefern Mubarak die Zukunft plant?
Im Moment sehe ich keine Pläne, und das beunruhigt mich. In der Innenpolitik gab es schon öfter Phasen des Stillstands, aber wenigstens nach außen hat Mubarak immer Visionen entwickelt: die Versöhnung der Palästinenser, ein atomwaffenfreier Naher Osten, neue Gespräche im Friedensprozess. Aber noch nicht mal da tut sich momentan was. Innenpolitisch noch viel weniger. Vielleicht passt dieser Satz: Er tut alles dafür, dass in naher Zukunft alles bleibt, wie es ist?
Seit Jahren wird um die Nachfolge des autokratischen Herrscher Ägyptens spekuliert: Was ist denn tatsächlich Sache im bevölkerungsreichsten arabischen Land?
Er ist jetzt 82 Jahre alt, erfolgreich operiert und erholt, wie es scheint. Und macht keine Anstalten, vor der Wahl im September 2011 abzutreten. Ich würde es ihm sogar zutrauen, dass er noch mal kandidiert. Zumindest fordern das in diesen Tagen prominente Vertreter seiner Partei. „So lange in meiner Brust ein Herz ist, das schlägt, werde ich diesem Land dienen" hat Mubarak selbst vor vier Jahren gesagt. Er scheint es ernst zu meinen. Jedenfalls kümmert er sich nicht um die Ernennung eines potentiellen Nachfolgers. Er hat noch nicht einmal einen Vizepräsidenten. Sein Sohn könnte ihn beerben, sagen die einen, der Geheimdienstchef Suleiman glauben andere, vielleicht Amr Moussa, wenn er in der arabischen Liga fertig ist? Über meinem Schreibtisch hängt eine Schlagzeile aus der ägyptischen Zeitung Sawt al-Umma. Sie ist jetzt bald ein Jahr alt. Da steht: „Der Frisör des Präsidenten: ich habe Mubarak gefragt, ob er die Macht vererben wird. Er sagte: mein Sohn hilft mir". Dem ist nichts hinzuzufügen.
Arbeiter und Reformwillige drängen vermehrt auf die Strasse, fordern verbesserte Lebensbedingungen und politische Veränderung – werden sie das kriegen?
Die Demonstranten haben sich vermehrt, aber sind noch immer viel zu wenige. Es ist wie bei der Bettdecke: wenn das hungrige Kätzchen den Kopf hebt, oder das wilde, oder das neugierige, gibt es jedes Mal Druck von oben, und es zieht sich wieder zurück. Erst wenn es so viele Kätzchen sind, dass die Decke nicht mehr drüber passt, könnte sich was tun. Reformer allein werden das nie schaffen, vielleicht mit einer Masse an Arbeitern? Wenn es wirklich unerträglich wird, könnten sie sich wehren. Aber bislang hat dann immer eine kleine Lohnerhöhung gereicht, um alle wieder zum Schweigen zu bringen. Wir dürfen ja eins nicht vergessen: nicht nur die Regierungspartei will, dass sich hier möglichst nichts ändert. Auch viele Gutverdiener der freien Wirtschaft sind ganz zufrieden mit dem status quo.
Wie würdest im Rahmen dieses schüchternen Veränderungsprozesses die Rolle der ägyptischen Blogger einstufen?
Sie sind sehr wichtig. Erst heute habe ich in der Zeitung gelesen: Es gibt in Ägypten jetzt mehr Facebook-Nutzer als Zeitungleser! Und die laden da keine Familienfotos hoch, die diskutieren. Es gibt zahllose kulturelle und politische Gruppen. Informationen über Demonstrationen oder Kampagnen laufen alle über Facebook. Der ehemalige Chef der IAEA, Mohamed al-Baradei, derzeit prominentester Reformer im Land, erhält die mit Abstand größte Unterstützung auf Facebook. Blogs sind für viele eine Informationsquelle, der sie trauen. Und die Blogger decken Geschichten auf, die selbst in der Oppositionspresse nicht vorkommen. Aber sie leben gefährlich.
Ägypten wird von Reporter ohne Grenzen als ein Feind des Internets bezeichnet. Weshalb gehen denn Staatssicherheit und Polizei so harsch gegen Blogger vor?
Es gibt zwei Themen, die Blogger nicht berühren sollten: Alles was mit dem Präsidenten zu tun hat und alles was die Religion betrifft. Wer gegen diese Regel verstößt, sitzt. Wie Kareem Amer aus Alexandria seit bald 1300 Tagen. Ein weiterer Grund für das harte Vorgehen der Staatssicherheit ist die Tatsache, dass Blogger sich so schlecht kontrollieren lassen: sie arbeiten spontan und schnell, erreichen Leute, die nicht sichtbar sind, ihre Texte kann man weder aus dem Buchladen nehmen noch aus einer Zeitung reißen. Also kassiert man eben den Autor.
Esther, Du arbeitest seit 1999 immer mal wieder und seit vier Jahren fest in Kairo. Verringerte sich in dieser Zeit das Interesse der Redaktionen in Deutschland an Beiträgen aus dem arabischen Raum?
Auf jeden Fall. Böse gesagt: Nur noch entführte Touristen oder abgestürzte Flugzeuge bringen meine Stücke auf Sender. Alle anderen Themen stehen weit hinter der Innenpolitik.
Du bist als Journalistin im angeblich so patriarchal geprägten Nahen Osten unterwegs – Klischee, oder war das tatsächlich je ein Problem für Deine Arbeit?
Ich möchte wissen, wie oft ich diese Frage schon beantwortet habe: NEIN, es gab nie ein Problem. Ich bin noch immer ernst genommen worden und habe auch bei Patriarchen gekriegt, was ich will. Natürlich trage ich in Saudi-Arabien Abaya und Kopftuch. Aber dafür kann ich eben auch auf einer jemenitischen Hochzeit tanzen, an einem ägyptischen Frauenstrand liegen oder in Libyen eine illegal eingereiste Damenfrisöse aus Burkina Faso besuchen.
Burka- Verbot, Minarettbau – Verbot – „der Westen" ist offensichtlich verunsichert im Umgang mit der arabischen Kultur und muslimischen Personen. Kannst, willst und sollst Du diesbezüglich als Korrespondentin aus ebendiesem Berichtsraum Gegensteuer geben?
Als die Schweizer abgestimmt haben, dass sie keine Minarette an ihren Moscheen wollen, habe ich den Schweizer Botschafter hier in Kairo gefragt, wo er eigentlich beten geht. Er erzählte mir dann von einer katholischen Kapelle und einem deutschen Kloster. Daraus habe ich einen kleinen Beitrag gemacht. Viele Hörer haben den nicht verstanden und mir die Unterdrückung der Christen im Orient entgegen gehalten.
Na, Botschafter Dominik Furgler und sein Team brachten soeben die Aussenpolitische Kommissin der grossen Schweizer Parlamentskammer nach Kairo; ein Botschafter des Verständnis Schaffens, in der konkreten Tat...
... dabei versuche ich manchmal einfach nur, die Frage umzudrehen, denn gespiegelt auf die eigene Welt versteht man vieles besser. Und im Fall der Minarette ging es mir darum, die Moschee im Dorf zu lassen: http://www.wdr.de/radio/wdr2/moma/539204.phtml. Gleichzeitig will ich nichts beschönigen: es gibt hier vieles, das kritisiert gehört. Aber eben nicht pauschal, sondern differenziert. Oft hilft eine kleine Geschichte aus dem Alltag, und schon verliert das bedrohliche Unbekannte seinen Schrecken. Ich erzähle dann von unserem Freund, der in unserem Wohnzimmer verschwindet, um um zu beten, und dann entspannt einen Wein mit uns trinkt und Speck aus Deutschland probiert.
Esther, was wird Dich in den nächsten Wochen journalistisch beschäftigen?
Der Nil. Der beschäftigt mich sowieso immer, denn er fließt unter meinem Bürofenster vorbei und überwältigt mich immer wieder mit seiner majestätischen Schönheit. Außerdem rudere ich auf ihm...
...kommt mir doch das Wort eines Chefredaktors in den Sinn, der mal beschieden hatte, Korrespondenten würden sich sowieso primär am Pool sonnen, aber auf dem Nil rudern...
...in diesen Tagen ist der Fluss auch politisch wichtig: es gibt große Verstimmungen zwischen Ägypten und dem Sudan auf der einen Seite und den sieben sogenannten Nilbeckenstaaten auf der anderen Seite. Äthiopien zum Beispiel plant ein Dammprojekt, das den Ägyptern, die vollkommen vom Nilwasser abhängen, nicht passt. Der Versuch ein gemeinsames Rahmenabkommen zu formulieren ist vor kurzem fehlgeschlagen, nun haben die Staaten, in denen der Nil entspringt, in Uganda ihr eigenes abkommen unterzeichnet, ohne den Sudan und Ägypten. In den letzten Tagen waren der kenianische und der kongolesische Präsident hier in Kairo. Es wird hart daran gearbeitet, einen Kompromiss zu finden. Auch die Weltbank ist an dieser Nilbecken-Initiative beteiligt, die deutsche GTZ und alle möglichen Organisationen. Seit zehn Jahren bemühen sie sich, Einigkeit zu schaffen, damit es nicht irgendwann einen Krieg ums Wasser gibt. Aber derzeit ist die Lage sehr gespannt. Kompliziertes Thema, schwer zu verkaufen, aber dabei so wichtig.
Donnerstag, 27. Mai 2010 um 23:44 >> antworten
Freitag, 28. Mai 2010 um 09:47 >> antworten
Samstag, 29. Mai 2010 um 19:16 >> antworten
Freitag, 28. Mai 2010 um 22:34 >> antworten
leider ist es so, dass man den Redaktionen seine Themen verkaufen muss. Und selten werden Themen angenommen, die Hintergründe erklären, oder die Menschen zum Nachdenken bringen könnten. Ist alles zu kompliziert. Ob das an der geringen Nachfrage seitens der Medienkonsumenten liegt, weiß ich nicht. Ursache und Wirkung sind meiner Ansicht nach hier nicht ganz klar.
Die Zuschauer, Zuhörer oder Leser können nur das konsumieren, was sie geboten bekommen. Andererseits orientieren sich die Redaktionen auch an den Interessen ihrer Zielgruppen. Wer ist nun verantwortlich für die zunehmend seichte Unterhaltung? Schwer zu sagen. Wenn die Zuschauer mehr mitbestimmen, nachfragen, kritisieren würden, dann würden die Redaktionen ihre Auswahl vielleicht ändern. Aber das müssten schon sehr viele Konsumenten tun. Dazu sind viele zu bequem.
Samstag, 29. Mai 2010 um 19:01 >> antworten
Es gehört in der Tat zu den grössten Herausforderungen eines Korrespondenten, den Redaktionen Themen zu verkaufen; nüchtern betrachtet ist Verkaufen die korrekte Beschreibung des Alltags. Natürlich gibt es einen Austausch zwischen Redaktionen, weit seltener zwischen Redaktionsleitern und Korrespondenten, aber Redaktionspolitik ist meistens Personalpolitik -- und wer heute in eine Redaktion blickt, sieht, dass der Konsenz über Qualitätsjournalismus auch schon grösser war.
Zu den mindestens so frustrierenden Punkten gehört, was Katrin angefügt hat: Wo bleiben die Reaktionen der Medienkonsumentinnen und - konsumenten?? Einfach wegzappen hilft nicht, im Gegenteil
Samstag, 29. Mai 2010 um 20:55 >> antworten
Samstag, 29. Mai 2010 um 23:11 >> antworten
"In dieser Zeit habe ich morgens selbst Meldungen [über Nachrichtenagenturen, rick] zu meinen Themen abgesetzt", sagte der Journalist. Die Redaktionen haben daraufhin 20 Minuten später von sich aus angerufen."
Dieser Rückzug aus der Auslandsberichterstattung hat zur Folge, dass plötzlich irgendwo wieder Krieg o.ä. herrscht. Die Entwicklung dahin bekommt man leider nur noch mit, wenn man sehr breit deutsche und besonders ausländische Medien verfolgt.
Tilgner hat auch die Art "eingebettete Hofberichterstattung" kritisiert:
Die SZ schrieb dazu:
"Tilgner tut sich erkennbar schwer mit jenen ZDF-Leuten, die nah am Berliner Regierungsbetrieb sind und dann mit dem Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach Kabul fliegen und berichten. "Die Berliner", sagt er gern, und das klingt gar nicht nett. Nah dran, doch ohne Durchblick, heißt das übersetzt. Mit der Regierung des Gerhard Schröder habe der eingebettete Journalismus in Deutschland angefangen, und Steinmeier setze die Tradition durch, sagt Tilgner schon mal Vertrauten."
Samstag, 29. Mai 2010 um 21:33 >> antworten
Samstag, 21. August 2010 um 10:22 >> antworten